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Archiv-Artikel

DDR, befreit von Kitsch und Pop

VON JENS KÖNIG

Diese Fotos von Daniel Biskup haben einen für den 15. Jahrestag der deutschen Einheit wirklich großen Vorzug: Sie können nicht sprechen. Sie enthalten kein einziges dieser vielen überflüssigen Wörter über die Ostdeutschen und Westdeutschen und ihre Mauer in den Köpfen, die anlässlich des Jubiläums wieder mal verloren werden. Schon vor Jahren war ja die deutsch-deutsche Debatte zu einem einzigen großen Gerede verkommen, und leider hat sich daran bis heute so gut wie nichts geändert. Biskups Fotos hingegen sind einfach nur da, stumm, klar, direkt, eindringlich. Sie berichten uneitel, aber sehr präzise von einer Welt, die vor zweitausend Jahren untergegangen zu sein scheint, so sehr ist die kollektive Erinnerung an sie verblasst.

Dabei sind es Fotos über die DDR, die sich im Herbst 1989 aufmachte, ein für alle Mal ihre Fesseln abzulegen und darüber ein paar Monate lang in eine völlig entgrenzte Euphorie verfiel. Heute existiert diese DDR nicht mehr, nicht einmal in den Erzählungen über sie, in ihnen wurde sie zu einem Land zurechterinnert, das es nie gab. Biskups Fotos befreien die DDR von Kitsch und Pop und westlicher Deutungsmacht – sie geben einen Blick auf die Wirklichkeit frei. Sie sind nicht Erinnerung, sondern Erfahrung.

Der Autor dieser Zeilen wurde Ende November 1989, im Alter von damals unglaublichen 25 Jahren, Chefredakteur der DDR-Jugendzeitung Junge Welt. Wenige Tage nach seinem Amtsantritt kam ein junger Fotograf aus Augsburg in die Redaktion in Ostberlin. Er war gelernter Briefträger und als Fotograf ein Autodidakt. Aber er war einer jener Westdeutschen, die neugierig waren auf das, was in diesem Land passierte, vor allem auf dessen Menschen, die sich in einem Rausch befanden, der noch über ein Jahr anhalten sollte. Diese Neugier und Unbefangenheit machte damals schon den besonderen Blick seiner Bilder aus. Er fotografierte fortan regelmäßig für die Junge Welt, seine Bilder von der aufbrechenden DDR prägten das Gesicht der Zeitung mit. Sein Name: Daniel Biskup.

Heute zählt Biskup, Jahrgang 1962, zu den renommiertesten Fotografen des Landes. Sein jetzt vorgelegtes Buch „1989/1990“ (Verlag Markus Bröhm, Leipzig, 29,80 Euro), für das Helmut Kohl – von Biskup schon oft blendend porträtiert – das Vorwort schrieb, beweist seine besondere Qualität: Er mag die Menschen, die er fotografiert, und er hat ein Gespür dafür, wie sie sich in historischen Ausnahmesituationen bewegen. Nicht zufällig zog es Biskup nach seinen Erlebnissen in der DDR noch weiter Richtung Osten, nach Polen, Estland, Lettland, Litauen, Russland.

Über Biskups DDR-Buch schreibt Kohl: „Es ist kein Band, der dem Zeitgeist huldigt, und gerade deswegen bin ich mir sicher, dass die Fotografien dieses Buches noch sehr lange Zeit ihre Bedeutung behalten.“ Schön, dem Altkanzler einmal vorbehaltlos zustimmen zu können.