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Archiv-Artikel

Von Nosferatu nach Ninotschka

DOKUMENTATION In „Alexander Granach – Da geht ein Mensch“ erzählt Angelika Wittlich die Lebensgeschichte des jüdischen Schauspielers, der sowohl Hitler wie auch Stalin entkam

Wittlich nähert sich ihrem Protagonisten mit großem Respekt, aber sie gönnt sich auch einige stilistische Eigenwilligkeiten

VON WILFRIED HIPPEN

Dass er 1945 an einer banalen Blinddarmentzündung verstarb, war zugleich bitter ironisch und ein Triumph für den in Galizien geborenen Juden Alexander Granach, der sowohl dem Holocaust wie auch Stalins Säuberungen in den 30er Jahren entkam. Fritz Lang meinte, er sei „einer der größten Schauspieler der Welt“ gewesen und seine posthum veröffentlichten Memoiren wurden als literarisches Meisterstück gelobt, aber seine größtes Talent entwickelte er als Überlebenskünstler Die Dokumentarfilmerin Angelika Wittlich hat sich auf eine Spurensuche begeben und hat seinen Sohn Gad, Zeitzeugen, Historiker, einen Dramaturgen und Menschen aus seinem Geburtsort in der heutigen Ukraine befragt. Aber am besten hat ja Granach selbst sein Leben beschrieben, und so nutzte die Filmemacherin viel von seinen Originaltexten. Sie zitiert nicht nur aus seinem Buch „Da geht ein Mensch“, sondern vor allem aus den über 300 Briefen, die er seiner großen Liebe, der Schweizer Schauspielerin Lotte Lieven schrieb. Granach konnte wunderschön schreiben, und Wittlich zelebriert seine Formulierungskunst dadurch, dass sie seine Texte rezitieren lässt. Der Schauspieler Samuel Fintzi liest sie mit einem leicht osteuropäischen Tonfall und Juliane Köhler spielt Lotte Lieven, wobei man allerdings kaum von dem im Dokumentarfilm inzwischen inflationären Reenactment sprechen kann. Stattdessen liest sie die Briefe, teils vor, teils stumm, in Stimmungsbildern, die eine Ahnung davon geben, dass Granach selber sie ja auch an sein romantisches Idealbild einer großen blonden Frau geschrieben hat.

Wittlich hat gründlichst recherchiert und ist weit gereist, um diese Lebensgeschichte möglichst komplex und eindrucksvoll zu erzählen. So ist sie in das damalige Galizien gefahren, und in diesen Sequenzen erinnert ihr Film an jene von Volker Koepp („Herr Zwilling und Frau Zuckermann“), der diese Landschaft in der heutigen Ukraine und in Polen als eine aus der Zeit gefallene Welt schildert. Da zeugt ein sehr souverän auftretender junger Rabbi von der Lebendigkeit der jüdischen Tradition und zugleich offenbart ein Deutschlehrer unfreiwillig, wie schlecht er selber diese Sprache beherrscht. Solche Details und Momentaufnahmen bereichern den Film, der so auch eine Art von Reisebericht der Filmemacherin wird, doch im Fokus bleibt immer Granach. Als Sohn eines Bäckers riss er mit 13 Jahren von zu Hause aus und hatte im Lemberger Theater ein Erweckungserlebnis, nach dem er sich ganz dem Theater verschrieb und „verwandlungssüchtig“ wurde. Er begann seine Karriere im jüdischen Theater, ging nach Berlin und nahm Unterricht bei Max Reinhard am Deutschen Theater.

Dass er auch damals schon furchtlos war, bewies er, als er sich bei einer äußerst riskanten Operation seine X-Beine brechen und gerade richten ließ. 1922 spielte er den Häusermakler Knock in Murnaus „Nosferatu“, doch außer zwei Filmausschnitten, die nur wenige Sekunden dauern, wird dieses Kapitel leider fast völlig ausgespart. Granach wird als erfolgreicher Schauspieler gefeiert, doch in den 30er Jahren ist er einer der wenigen hellsichtigen Juden, die die Gefahr des Nationalsozialmus früh erkennen. Er kehrt zurück nach Galizien, tingelt dort mit einem jüdischen Theater durch die Dörfer und reist schließlich nach Moskau, wo er zur deutschen Emigranten-Elite zählt. Bei Stalins Säuberungen wird er als „deutscher Spion“ beschuldigt und verhaftet. Sein einflussreicher Freund Lion Feuchtwanger setzt sich wahrscheinlich bei Stalin persönlich für ihn ein, und so entkommt er knapp der Vernichtung.

Er reist nach Amerika, wo er zuerst in New York Theater spielt und dann bei seinen Freunden Fritz Lang und Ernst Lubitsch Arbeit in Hollywood findet. Seine schönste Rolle war die eines der drei Politkommissare neben Greta Garbo in „Ninotschka“. Auch hier gibt es nur zwei kurze Ausschnitte, mehr Archivmaterial wäre wohl zu teuer gewesen. 1945 hat er einen großen Bühnenerfolg am Broadway in New York und ist kurz davor, seine Memoiren zu veröffentlichen und so stirbt er auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Während sein literarisches Talent durch seine Texte belegt ist, gibt es nur wenige Zeugnisse seiner als ekstatisch beschriebenen Wirkung auf der Bühne und im Film. Wittlich muss sich da mit den Kommentaren ihrer Gesprächspartner begnügen. So erzählt Granachs Sohn Gad, wenn dessen arischer Kollege Werner Kraus den Shylock von Shakespeare spielte, wurde das Publikum zu Antisemiten, während es, wenn Granach die Rolle spielte, den Leidensweg des jüdischen Volkes vor Augen gehabt hätte.

Wittlich nähert sich ihrem Protagonisten mit großem Respekt, aber sie gönnt sich auch einige stilistische Eigenwilligkeiten. So verfremdet sie alle historischen Fotografien digital, sodass diese immer ein wenig zu pulsieren scheinen. Es wirkt als würde ein Windhauch sie flattern lassen. Und sie zeigt auch, in welche Sackgassen ihre Recherchen sie geführt haben. Auf der Suche nach dem Hospital, in dem Granach starb, findet sie nur einen Veterinär, dessen Tierklinik den gleichen Namen hat. Während in der Ukraine die Vergangenheit nicht aufzuhören scheint, wird sie in New York schnell unsichtbar.