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Archiv-Artikel

Der Maler als Sammler

KULTURGESCHICHTE Ein Bild von Max Liebermann und Werke aus seiner Sammlung, die seine Witwe nach dem Tod des Malers 1935 zwangsweise verkaufen musste, wurden am Mittwoch in der Villa Grisebach versteigert

Vom Zwangsverkauf zeugte auf einer Studie von Blechen der Eigentumsnachweis

VON BÄRBEL JÄSCHKE

Für rund eine Viertelmillion Euro kam es unter den Hammer auf der Versteigerung in der Villa Grisebach zu Berlin: Das „Holländische Hirtenmädchen“ von Meister Max Liebermann. Es ist kaum einen Meter groß. Pastellkreiden und Kohle auf Pappkarton komponieren verhalten eine herbstliche Melodie. Sanfte Töne in Beige, Braun und verblichenem Grün vermitteln vor einer schmalen Horizontlinie aus königsblauem Meer unantastbare Würde und Anmut – und keinesfalls die Armut der niederländischen Katenbewohner am rauen Meer. Das junge Mädchen steht in schweren Holzpantinen mit dem Rücken zum Wind und strickt und strickt und strickt – ganz versunken in ihre Gedanken. Aus der Ferne beäugt gelassen ein alter Schafbock die Szene.

Vierzig Jahre alt war Max Liebermann, als er 1887 dieses anmutige Pastell in der Nähe des holländischen Katendorfs Laren zeichnete. Berühmt war er da noch nicht für seine damals in Deutschland neue impressionistische Kunst. „Impressionismus ist Faulheit“, spottete der um drei Jahrzehnte ältere Realist Adolph von Menzel. Doch er lobte Max Liebermann als einzigen Maler, der Menschen mache und keine Modelle.

Wo und wie hatte der Sohn eines Berliner Kattunfabrikanten das gelernt? In Paris, in den Jahren 1873 bis 1878. Die Impressionisten Claude Monet, Auguste Renoir, Edgar Degas, Paul Cézanne, Berthe Morisot und andere präsentierten am 15. April 1874 ihre erste Gruppenausstellung. Von Kunstkritikern wurden diese jungen Pleinairmaler, also Freiluftkünstler, als zu oberflächlich, zu egozentrisch, zu bunt, zu grell, zu flüchtig, zu banal, zu gossenhaft beschimpft. Doch der siebenundzwanzigjährige Max Liebermann bekam von diesem neuen künstlerischen Treiben in seiner Nachbarschaft überhaupt nichts mit. Noch bewunderte er, wie François Millet die Feldarbeiter in verklärendes Himmelslicht setzte.

Erst ein Jahrzehnt später nahm er die Impressionisten wahr und witzelte selbstironisch: „Manets kann man wohl zu viel, aber nie genug haben.“ Von Édouard Manet hingen Anfang des 20. Jahrhunderts mehr als ein Dutzend Originale im feudalen Haus des inzwischen erfolgreichen Malers am Pariser Platz in Berlin. Seine Sammlung gehörte zu den besten der Stadt. Liebermann besaß auch Bilder von Edgar Degas und Claude Monet, und er sorgte dafür, dass diese Künstler auch in die Museen von Berlin und Hamburg kamen.

Als nach der Machtübergabe an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 SA-Einheiten im Siegesrausch mit lodernden Fackeln durch das Brandenburger Tor marschierten, zürnte Max Liebermann: „ Ick kann jar nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte.“ Doch er setzte sich nicht gegen die nationalsozialistische Verelendung der Kultur zur Wehr, wie es Käthe Kollwitz, Heinrich Mann und Erich Kästner durch die Unterzeichnung eines „Dringenden Appells“ taten. Als Ehrenpräsident der Akademie der Künste wollte er nichts riskieren, doch auch nicht aus der Akademie austreten: „Mir als Juden würde das als Feigheit ausgelegt werden.“

Doch kurze Zeit später, am 9. Mai 1933, am Tag nach der Bücherverbrennung, legte er alle öffentlichen Ämter nieder und erklärte: „Ich habe während meines langen Lebens mit allen meinen Kräften der deutschen Kunst zu dienen gesucht. Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun.“ Er zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und wurde von vielen einstigen Weggefährten gemieden.

Im Jahr vor seinem Tod am 8. Februar 1935 klagte er verbittert einem Besucher: „Ich lebe nur noch aus Hass. Ich schaue nicht mehr aus dem Fenster dieser Zimmer. Ich will die neue Welt um mich herum nicht sehen.“ Unfassbare Tat: Dem abends um sieben still aus dieser Welt Geschiedenen wurde von Hitlers Lieblingskünstler Arno Breker die gipserne Totenmaske abgenommen.

Die Teilnahme an der Beerdigung am 11. Februar 1935 auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee hatte die Gestapo besonders Menschen des öffentlichen Lebens verboten. Trotzdem kamen einhundert Freunde und Kollegen. Nach dem Tod des Malers musste seine Witwe Martha, bedrängt von Geldforderungen der Nationalsozialisten, seine Sammlung verkaufen. Ihre Ausreise in die Schweiz scheiterte. Kurz vor einer Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt brachte sie sich um.

Die tragische Geschichte vom erzwungenen Verkauf der Sammlung erzählte Stefan Pucks im jüngsten Journal der Villa Grisebach. Denn erstmals wurden auch Werke aus der Sammlung, unter anderem von Adolf Menzel, versteigert. Vom Zwangsverkauf zeugte auf der Rückwand einer Studie von Carl Blechen noch der Eigentumsnachweis. Nach dem Tod Liebermanns verkaufte es eine Frau Kern an das geplante Führermuseum in Linz, dann erhielt es den Stempel „Eigentum der Bundesrepublik Deutschland“, bis es zusammen mit anderen Werken den Erben Liebermanns von deutschen Museen zurückerstattet wurde. Bis zu dieser Restitution waren Jahrzehnte vergangen.