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Archiv-Artikel

Bloß schnell weg mit denen!

HARTZ IV Jugendliche und junge Erwachsene aus „Bedarfsgemeinschaften“ haben sehr schlechte Chancen, eine Ausbildung nach ihren Neigungen und Fähigkeiten zu erhalten, deutlich schlechtere als andere junge Menschen

VON OLE SCHULZ

Über Sinn und Wirkungen des Arbeitslosengeldes II lässt sich trefflich streiten. Zuletzt gab es Zank um die Frage, wie viel eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze den Steuerzahler kosten würde (s. Meldung rechts). Gewerkschaften und Sozialverbände, Grüne wie Linke widersprachen der Warnung der Bundesagentur für Arbeit vor einer Kostenexplosion und verurteilten die Stigmatisierung von ALG-II-Empfängern, denen ein Leben in Würde ermöglicht werden müsse.

Dass das ganze Hartz-IV-System zumindest widersprüchlich ist und in wichtigen Punkten auch kontraproduktiv wirkt, ist oft beanstandet worden; zum Beispiel, dass das Ziel verfehlt werde, viele Leistungsbezieher in einigermaßen kurzer Frist in eine feste Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Stattdessen ist die Zahl jener Arbeitslosen, die Hartz IV schon länger als zwei Jahre beziehen, in diesem Jahr auf über 60 Prozent gestiegen. Auch die Zahl der „Aufstocker“ hat ein ähnliches Niveau erreicht.

Systematisch benachteiligt

Systematisch benachteiligt werden anscheinend gerade auch Kinder von ALG II beziehenden Familien. Laut Deutschem Verband für Bildungs- und Berufsberatung e. V. (dvb) sind die Chancen für Jugendliche und junge Erwachsene aus sogenannten Bedarfsgemeinschaften, eine Ausbildung nach ihren Neigungen und Fähigkeiten zu erhalten, deutlich schlechter als die anderer junger Menschen.

„Die Vermittlung der betroffenen Jugendlichen in Arbeit hat in den Jobcentern Vorrang vor einer Ausbildungsvermittlung oder Aufnahme einer möglicherweise sogar kostenpflichtigen Berufsausbildung“, sagt Martin Griepentrog vom dvb. Die Betroffenen würden dadurch schnell in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gelangen und häufig dauerhaft von sozialen Transferleistungen abhängig. Dies führe dazu, dass der Teufelskreis aus Armut und Geringqualifizierung kaum durchbrochen werden könne. Wichtig ist es laut Griepentrog deshalb, dass die Jobcenter tatsächlich ihrer „ergebnisoffenen Beratungspflicht“ nachkommen – und Ausbildungs- und Berufswünsche von Jugendlichen aus Hartz-IV-Familien zum Beispiel nicht gleich von vornherein als illusorisch ablehnen. „Uns sind solche Fälle bekannt“, sagt Griepentrog. „Die Logik von ALG II, „alle Leistungsempfänger möglichst schnell wieder in Lohn und Brot zu bringen, steht prinzipiell in Spannung zu langfristigen Qualifizierungsmaßnahmen.“

Erschwerend sei, so Griepentrog, dass die Jobcenter eigentlich allein für die Ausbildungsvermittlung der betroffenen Hartz-IV-Kinder zuständig seien, die Agenturen für Arbeit indes für die allgemeine Berufsberatung. Das habe zur Folge, dass die Betroffenen im Gegensatz zu allen anderen Jugendlichen „nicht aus einer Hand“ betreut werden.

Der dvb kann zur Benachteiligung von jungen Menschen aus Bedarfsgemeinschaften zwar keine Zahlen präsentieren, hat dafür aber intensive Gespräche mit Verbandsmitgliedern geführt – darunter auch Mitarbeiter der Agenturen für Arbeit sowie der Jobcenter, die aus Datenschutzgründen und ihrer Loyalitätspflicht zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

Stefan Nowack, Mitglied des Vorstands des Nationalen Forums Beratung in Beruf, Bildung und Beschäftigung e. V. und Mitglied im dvb, teilt die Einschätzung Griepentrogs weitgehend – auch wenn er die Kategorisierung Hartz-IV-Kinder sonst für weniger geeignet hält: „Diese Jugendlichen stehen unter einem großen persönlichen Druck.“

Zur besseren Administration, so Nowack, würden Schüler aus Bedarfsgemeinschaften schon in der 10. Jahrgangsstufe, also noch vor dem Ende der Sekundarstufe I und bei noch unklarer Anschlussperspektive, erfasst. Bei Schülern, die nach der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II übergehen, werde der weitere schulische Entwicklungsverlauf genauestens beobachtet. „Damit werden bereits Jugendliche in der Sekundarstufe II erheblich unter Druck gesetzt.“

Vermitteln, egal wohin

Ähnlich wie Griepentrog will Nowack dafür aber weniger die Mitarbeiter der Jobcenter verantwortlich machen, sondern hält das Problem in erster Linie für systemimmanent. Die Mitarbeiter seien zudem überlastet, der Personalschlüssel weiterhin schlecht, was die Beratungsqualität mindere: Die Quote von Vermittlern zu Ratsuchenden liege derzeit bei höchstens 1 zu 180 – in der Durchführungsverordnung zum Hartz-IV-Gesetz sei eine von 1 zu 75 vorgesehen.

Laut dvb kollidiere die derzeitige Praxis bei der Betreuung von Jugendlichen aus Bedarfsgemeinschaften mit Art. 12 GG, der die freie Berufswahl garantiere. Um die strukturelle Benachteiligung dieser Jugendlichen zu verbessern, fordert der dvb, die Aufnahme eines expliziten Passus in das Sozialgesetzbuch II, nach dem die Ausbildung und Qualifizierung junger Menschen Vorrang vor der Vermittlung in Beschäftigung hat. Auch Nowack hält das für den richtigen Ansatz, sieht aber politisch „keine Chance, dass es umgesetzt wird“.