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Archiv-Artikel

Sinti und RomaEinmal Zigeuner, immer Zigeuner

Eine Ausstellung in Hannover zeigt, wie die Verfolgung des „fahrenden Volks“ auch nach der Nazizeit nicht aufhörteVERFOLGUNG Mit den gleichen Argumenten, mit denen die Nazis sie ins KZ brachten, wurden Sinti und Roma nach dem Krieg verfolgt. Sie galten als „arbeitsscheu“ und „kriminell“. Erst in den 80ern schwenkte die Politik um

Die Ausstellung

■ „Fremd im eigenen Land“ entstand in Zusammenarbeit mit dem „Verein für Geschichte und Leben der Sinti und Roma in Niedersachsen“. Die Ausstellung läuft bis 31. 1. 2010.

■ Führungen: Sonntags, jeweils 12 Uhr, Infos unter ☎ 0511 – 16 84 30 52.

■ Douglas Laubingers Puppenbühne „Sternschnuppe“ spielt jeden Sonntag, 12.15 Uhr.

■ Vortrag: Rudko Kawczynski, Vorsitzender der Roma und Cinti Union und Sprecher des Roma National Congress Hamburg redet über „Roma und Sinti im vereinigten Europa“. Dienstag, 24. 11., 18 Uhr.

■ Podiumsdiskussion: „Abschiebung ins Ungewisse – oder Bleiberecht für Roma-Flüchtlinge in Niedersachsen?“ Mit Filiz Polat, MDL (Die Grünen), Hedwig Mehring, Caritasverband Hildesheim, Djevdet Berisha, Vorsitzender „Romane Aglonipe – Roma aus Niedersachsen e.V.“ und Vertretern des Flüchtlingsrats. Dienstag, 1. 12., 18 Uhr.

■ Nächste Sonderausstellung: „Was damals Recht war. Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“, Eröffnung: 8. 12., Historisches Museum Hannover.

VON MICHAEL QUASTHOFF

„Zigeunerjunge, Zigeunerjunge,/ wo bist Du, wo sind Eure Wege?“, schmachtete Schlagerheroine Alexandra 1967. Dabei hingen Sinti-und Roma-Exemplare über jedem zweiten deutschen Sofa. In Öl. Vollbusig die Hüften wiegend oder mit keckem Bärtchen unter dem Piratentuch: des deutschen Spießers Abziehbild lockender Sinnlichkeit und romantischen Brigantentums. Das, was sich damals immer noch „Zigeuner“ schimpfte, war von den Nazis bis auf Restbestände dezimiert worden. 1945 hatte ihr Leidensweg aber längst kein Ende. Ausgegrenzt von der Bevölkerung, schikaniert und gedemütigt von Polizei und Ordnungsämtern, mussten Sinti und Roma in rattenverseuchten Ghettos am Stadtrand vegetieren. Wenn man sie nicht gleich in ehemalige Nazilager verfrachtete, zum Beispiel in die Osnabrücker Papenhütte.

„Fremd im eigenen Land“ lautet denn auch völlig zu Recht der Titel einer Ausstellung im Historischen Museum Hannover, die das Schicksal der „Sinti und Roma in Niedersachsen nach dem Holocaust“ beschreibt. Wer den 25 Stationen umfassende Parcours begeht, lernt eine Menge über steindumme Klischees, unausrottbare Vorurteile und menschliche Niedertracht. Vor allem lernt er, dass Versuche, die ungeliebten „Zigeuner“ loszuwerden, hierzulande eine lange Tradition haben – und mancherorts peinliche Urstände feiern.

Wie in Celle. Dort leben 320 der rund 60.000 Sinti, die ihr Geld mit Schrott verdienen. Bis Juni 2009 hatten sie ihre Betriebsausgaben schätzen dürfen. Die fiskalische Ausnahmeregel wurde 1946 eingeführt, um ihnen nach der Verfolgung die Gründung kleiner Existenzen zu ermöglichen. Viele Sinti, bei denen der Beruf des Altmetallhändlers eine lange Tradition hat, konnten damals nicht schreiben. Nun wollte das lokale Finanzamt plötzlich Quittungen sehen, rückwirkend bis ins Jahr 2000. Wohl wissend, dass dabei ruinöse Steuernachforderungen fällig waren. Dem plumpen Versuch, die „Zigeuner“ loszuwerden, trat der Verband Deutscher Sinti mit einer Demo entgegen – mit Erfolg.

Aus Niedersachsen stammt auch der älteste Beleg für das Auftreten der Sinti im Deutschen Reich – die Mehrzahl der Roma flüchtete erst während des Balkankrieges nach Westeuropa. Im 15. Jahrhundert hießen die ursprünglich aus Indien stammenden Volksgruppen noch „Tartaren“. Unter diesem Namen führt sie eine Hildesheimer Weinamtsrechnung vom 20. September 1407 und berichtet, der Stadtrat habe Getränke gereicht. Ein Indiz dafür, dass man die Tartaren für ehrbare Leute hielt.

Die Gastfreundschaft sollte nicht lange währen: 90 Jahre später verbannte ein Reichstagsbeschluss das fahrende Volk unter Androhung drakonischer Strafen aus deutschen Gauen. Der offizielle Grund: Spionage für das muselmanische Reich. Ein, wie Kurator Wolf-Dieter Michler schreibt, „seltsamer Vorwurf gegen eine Bevölkerungsgruppe, die vor den auf dem Balkan vorrückenden Türken geflohen war“.

Die Sintiphobie kultivierte der deutsche Michel, bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Aus Niedersachsen wurden ab 1940 etwa 1.000 Sinti und Roma deportiert. Nur jeder zehnte kam mit dem Leben davon.

Es waren „zerbrochen Menschen und Seelen“, sagt Douglas Laubinger, der fast die ganze Familie in Auschwitz verlor. Laubinger ist ein berühmter Handpuppenspieler, Chef des niedersächsischen Sintiverbandes und auf einem von acht Bildschirmen zu sehen. Sie zeigen Filminterviews, die Schüler mit drei Roma- und Sinti-Generationen geführt haben. Manuel Trollmann erzählt vom Schicksal seines Großonkels Johan „Rukeli“ Trollmann, eines begnadeten Boxers und Stilisten, den die Faschisten erst um seinen Titel betrogen, dann im KZ Neuengamme erschlugen. Man erfährt von Angelika Weiss, Spross der berühmten Jazzmusikerdynastie Weiss, dass sie die Horrorgeschichte ihres Vaters über die Deutschen nicht glauben wollte, bis man ihr „Zicke, zacke, Zigeunerkacke“ hinterherrief. „Duckt euch, seid still, bloß nicht auffallen – anders zu sein, ein anderes Aussehen zu haben und eine eigene Sprache, das ist gefährlich.“ Das, erinnert sich Douglas Laubinger, brachten ihm seine Eltern noch in den 1950er Jahren bei.

Obwohl die Sinti und Roma von den Alliierten offiziell als „Verfolgte des Naziregimes“ anerkannt wurden, waren sie im Land der Täter wieder „die Asozialen“, denen man Schule, Ausbildung und Arbeit, kurz, ein würdiges Dasein verweigerte. Wie die Ausstellung beweist, mit den gleichen Argumenten, die sie in die KZs gebracht hatten. 1953 wütete ein führender niedersächsischer Polizeifunktionär öffentlich und ungestraft über die „Blasphemie, dass der Staat diese erwiesenermaßen Arbeitsscheuen noch mit Arbeitslosenunterstützung fördert“, während das LKA ihre „verbrecherische Veranlagung beklagte“ und Merkblätter „zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“ drucken ließ.

Die Munition lieferten „Wissenschaftler“ wie Dr. Hermann Arnold, einst Rassenhygieniker im Reichsgesundheitsamt, die munter weiter publizierten und als Gutachter reüssierten. Arnold war noch bis 1976 Mitglied des Sachverständigenrates für Zigeunerfragen beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit. All das führte in der Praxis dazu, dass der Staat Sinti und Roma, die wie ihre Vorfahren als ambulante Händler reisen wollten, als „Landfahrer“ kriminalisierte und sich lange gegen angemessene Entschädigungen wehrte.

Das änderte sich erst, als kirchliche Gruppen und die vielgeschmähten 68er ein gesellschaftliches Klima schufen, in dem es Sinti und Roma möglich war, das Stigma sozialer Ausgrenzung zu durchbrechen. 1980 traten 13 Sinti auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau in unbefristeten Hungerstreik. Sie protestierten gegen die Weiterverwendung von NS-„Zigeunerakten“ durch die „Landfahrerzentrale“ des Bayerischen LKAs und gegen die alltägliche Diskriminierung in der BRD. Die Aktion erregte internationales Aufsehen. Doch erst ein Jahr später erzeugte der Göttinger Welt-Roma-Kongress so viel öffentlichen Druck, dass die Bundesregierung nicht mehr umhin konnte, den Genozid an Sinti und Roma anzuerkennen und für zügige Wiedergutmachung zu sorgen. In anderen Teilen Europas, etwa im Kosovo, werden sie immer noch verfolgt. Abschiebepredigern wie Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sei daher ein Besuch der Ausstellung empfohlen.