Armutsrisiko Germanistik

AKADEMIKER Doktoranden klagen zwar oft über Zeitverträge, Überstunden und schlechte Bezahlung. Sie leben aber längst nicht so prekär wie oft behauptet – und später verdienen sie oft umso besser

Mehr als die Hälfte der Doktoranden kommt aus Akademikerfamilien

BERLIN taz | Ehe Matthias Warkus wirklich etwas über die „Veränderung in Zeichen“ aufs Papier bringen konnte, vergingen zwei Jahre. „Solange hat es gedauert, bis ich die Finanzierung meiner Promotion hinbekommen habe“, sagt der 31-jährige Philosophie-Doktorand aus Marburg. Er bewarb sich um Stipendien, verfasste Exposés und Motivationsschreiben für Förderwerke. Warkus wollte schon hinwerfen, als es im vierten Anlauf klappte. Seither unterstützt die Stiftung der deutschen Wirtschaft seine Arbeit mit 1.150 Euro im Monat. Keine üppige Summe, von der noch 250 Euro für die Krankenversicherung abgehen.

Wer in Deutschland einen Doktortitel anstrebt, lebt prekär: Diesen Eindruck zumindest legen Geschichten wie die von Matthias Warkus nahe. Vor zwei Wochen schlug die Bildungsgewerkschaft GEW Alarm und forderte unter anderem Mindestlaufzeiten für Verträge von wissenschaftlichen Mitarbeitern. Eine neue Studie des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IFQ), die am Freitag vorgestellt wurde, bestätigt den Eindruck von der unsicheren sozialen Lage der Doktoranden – und widerspricht gleichzeitig deutlich. Befragt wurden 2.680 Promovierende. Und deren Situation unterscheidet sich zum Teil deutlich.

Im Schnitt verfügen die Befragten über 1.261 Euro im Monat. Nicht viel, aber auch gerade einmal 140 Euro weniger als Uni-Absolventen, die nicht promovieren. Allerdings: In den Fächern Germanistik und Kunstwissenschaften gilt ein Drittel der befragten Doktoranden als armutsgefährdet; insgesamt unterschreiten 12 Prozent die Armutsgefährdungsschwelle von 826 Euro. Die wichtigsten Einkommensquellen sind neben Stipendien (24 Prozent) Mitarbeiterstellen in der Wissenschaft. 34 Prozent der Befragten finanzieren sich über diesen Weg.

Problematischer als das Einkommen sind eher die Arbeitsbedingungen: 53 Prozent der befristeten Verträge an den Hochschulen, so eine Untersuchung des Forschungsinstituts HIS von 2011, haben eine Laufzeit von unter einem Jahr – obwohl die Arbeit an einer Dissertation locker drei Jahre und länger dauern kann. Norman Weiss, Vorsitzender des Doktorandennetzwerks Thesis, hatte während der dreieinhalb Jahre seiner Promotion neun Arbeitsverträge. „Förderlich ist so etwas im Allgemeinen nicht“, findet er.

Hinzu kommt: Doktoranden, die sich mit einer Stelle an der Uni finanzieren, arbeiten meist deutlich mehr als im Vertrag vereinbart. Lediglich 23 Prozent der Promovierenden haben einen Vollzeitvertrag, aber 60 Prozent gaben in der IQF-Studie an, Vollzeit zu arbeiten. Kein Wunder, sagt Norman Weiss: „Die Lehre und Forschung ruht extrem stark auf den Schultern der Doktoranden.“ Die Zahl der Studierenden ist deutlich stärker gestiegen als die der Professoren, die Mehrarbeit leisten wissenschaftliche Mitarbeiter.

Doch die Mühe zahlt sich später aus: Wer einen Doktor vor dem Namen hat, verdient laut IQF-Studie im Schnitt 624 Euro netto mehr als ein nicht promovierter Akademiker. Zur Promotion entschließen sich allerdings vor allem diejenigen, die ohnehin aus privilegierten Verhältnissen stammen: 45 Prozent aller Studierenden kommen aus Akademikerfamilien, aber 53 Prozent der Doktoranden.

BERND KRAMER