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Archiv-Artikel

Auf dem gemeinsamen Markt

Auf dem Markt am Maybachufer glaubt niemand, dass die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ernst meint. Wenngleich man was lernen könnte voneinander. Alles eine Frage des Wollens

von WALTRAUD SCHWAB

Rostrot ist das Geländer der Kottbusser Brücke gestrichen. Sie führt über den Landwehrkanal zum malerischsten Warenumschlagsplatz in Berlin: dem „Türkenmarkt“. – Sorry, das Wort ist nicht politisch korrekt! Ein zweiter Versuch ist gewährt. Dann eben: „unserem ersten gemeinsamen Markt“? Markt – pazar.

Dieser wird rechts von Wohnhäusern, Marke Berliner Gründerzeit, flankiert. Links liegt die Ankerklause, Herberge für Menschen jedweden Geschlechts. Gegenüber jedoch liegt Deniz – das Meer. So heißt das türkische Warenhaus. Derzeit ist es geschlossen. „Wird umgebaut.“ Nur der Imbiss ist noch offen. Erdal Yanuz arbeitet dort. Wie er das mit den Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei fände? „Ich will mal sagen“, antwortet er, „weil ich beide Mentalitäten kenne, weiß ich, dass das besonders für die Deutschen von Vorteil ist.“ Warum das? Das würden die Deutschen schon noch merken. „Wird ja Zeit, dass wir uns endlich kennen lernen“, meint er. Die Frage, ob er in seinem Leben Deutsche kennen gelernt hat, weist er von sich. „Bin hier groß geworden.“ Dann allerdings kommt er ins Grübeln. „Obwohl, viele sind’s nicht. Aber wenn wir erst die Brücke gebaut haben zwischen uns, dann wird es besser.“ Brücke – köprü.

Der Eingang zum Markt ist mit Plastiksonnenblumen – pilastik aycicegi – verziert, denn passend zum ersten Tag sowohl der Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei als auch des diesjährigen Ramadan veranstaltet Neukölln sein „Marktfest“. Was das sei, ein Marktfest? „Sehen Sie doch, hier laufen halt Künstler rum und in der Mitte gibt’s Musik“, erklärt ein freundlicher Ordner. Musik – müzik.

Ahmed Pehlivan jedoch ist nicht zum Feiern zu Mute. „Mir als Türke wird das Gefühl vermittelt, dass ich nur drittklassiger Europäer bin“, sagt er, auf die EU und die Türkei angesprochen. Er glaubt nicht, dass die politische Offerte ernst gemeint ist. „Von Seiten der Regierung sind wir, die Türkei, nicht perfekt, nicht voll demokratisch, aber es gibt Fortschritte.“ Wenn sich die Verhandlungen als Flopp herausstellten, dann fürchtet er, dass die Fortschritte in der Türkei rückgängig gemacht werden. Das will er nicht. „Ich als Türke im Ausland hatte früher kein Vertrauen in die Regierung. Das war eine Militärdiktatur. Jetzt gibt es Reformen.“ Er würde gern in seine gefühlte Heimat ziehen, wenn sie zur EU gehörte. „Im Grunde ist es doch gleich. Hier essen wir Kartoffeln und dort auch.“ Kartoffeln – patatesler.

Ein paar Marktstände weiter klärt Yunus Akkus über ein anderes Gemüse auf. Kelek heißt es. Das schmecke wie Gurke. Er schält eine der kleinen runden Früchte und lässt sie kosten. Süßlich ist sie. Das käme, weil es zu früh geerntete Melonen seien, erläutert er. Sagen Sie, und was halten Sie von der EU? Da fängt Akkus an, sich in Rage zu reden. „Das bringt nichts. Gucken Sie sich den alten Türken da hinten an. 40 Jahre ist er hier. Nichts hat sich geändert. Der Kopf, mit dem er hierher kam, war damals schon 100 Jahre alt. Man muss seinen Kopf austauschen.“ Er greift sich an seinen Schädel und tut so, als risse er ihn ab. „Ich hab auch Probleme; ich bin Kurde.“ Am Ende verschenkt er eine Tüte mit den zu früh gepflückten Melonen, weil Neugier belohnt wird. „Mit Salz bestreuen“, rät eine Kundin. Zur Weltlage will sie sich nicht äußern. Auch ihre Freundin hüllt sich in Schweigen. Freundin – kiz arkadas.

Nicht so der Stoffhändler auf der anderen Seite. Atila Özen heißt er. Der hat was zu sagen. „War ’ne schwache Leistung. Zuerst ist die EU gegen die Türkei, jetzt dafür. Wir fühlen uns veräppelt. Das wird so bleiben. Ich bin hier geboren und ich bin hier Ausländer, dort auch. Mehr kann ich zu Europa nicht sagen.“ Auf die Frage, was sein Nachname – Özen – bedeute, kommt er ins Stocken: „Ich weiß es, aber kann es nicht richtig übersetzen.Vielleicht so: sich große Mühe geben, um etwas zu schaffen.“

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