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Archiv-Artikel

strafplanet erde: die kunst, ein moped zu orten von DIETRICH ZUR NEDDEN

Kurz vor dem kodderigen oder kodifizierten, jedenfalls lustlos performierten, matt umhüstelten Tag des bundesnationalen Einheitsgetues traf Post vom Landratsamt in Mittweida ein. Die Postleitziffernkette startet mit einer Null: Das ist im Osten! Die Einteilung war mir trotz ansonsten zuverlässig funktionierender Ignoranz nicht entgangen. Man kommt ja viel zu selten raus, seltener noch in den Osten. Wann war ich zuletzt in zum Beispiel Magdeburg? Ist ne Weile her. Auf Rügen? Soll sehr schön sein. Mecklenburgische Seenplatte? Müssen wir unbedingt mal hin. Sachsen? War ich noch nie!

Das Landratsamt im sächsischen Mittweida, Unterabteilung Ordnungsamt, Unterunterabteilung Verkehrsaufsicht in Person von Frau M. wirft mir vor, eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben. Tatort: die B 95 außerorts Richtung Penig. Nach Aussage des Zeugen Polizeihauptmeister R. habe ich die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 21 Stundenkilometer überschritten. Wie und womit? Mit einem Pkw des Fabrikats Piaggio, Kennzeichen H-HP805. Die Akten waren damit nicht ausgereizt, ein Beweismittel beigefügt, Filmbilder, die eine Lichtschranke vom Typ MicroP80 geschossen hatte.

Schock, Verwirrung, Orientierungslosigkeit. Die Fotos blieben unbeachtet, stattdessen riss mich somnambule Starre hin und her – wie das nun wieder geht, weiß ich auch nicht. Zum Bücherbord und den „Prozess“ lesen?: „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Oder mein ferrarirotes Moped zur Rede stellen, das wahrhaftig das inkriminierte Kennzeichen auf dem Buckel trägt?

Druck von oben nach unten weitergeben, eine bis zum Beweis des Gegenteils urdeutsche Tradition. Ich stürmte die Treppe hinab. Unschuldslammfromm stand das Maschinchen auf dem Trottoir, à la Christo umhüllt von Regenschutzplaste, als wollte es sich verstecken. Ein friedvoller Anblick sich selbst genügender Harmonie. Um ein Haar hätte ich Eichendorffs „Wünschelrute“ deklamiert: „Schläft ein Lied in allen Dingen / Die da träumen fort und fort / Und die Welt hebt an zu singen / Triffst du nur das Zauberwort“. Ich ließ mich nicht täuschen. Wie heißt das Zauberwort mit fünf Buchstaben, zwei T inklusive? „Flott“ wäre die richtige Antwort gewesen. Flott polkte ich das Cape vom Motorroller, um ihn mit dem Vorwurf zu konfrontieren.

Schweigen. „270 Kilometer hin, 270 zurück? Ohne mich?“, insistierte ich. Duckte sich der Hobel nicht beschämt und feige weg? „Seit wann schaffst du 91 nicht bloß gefühlte Spitze?“ Kein Mucks. Prügel würde nicht helfen, das sah ich ein. Überhaupt kehrte ein Quantum Geistesgegenwart zurück, Vernunft sogar. Ich fingerte den Fotostreifen aus dem Umschlag. Ein Mercedes mit dem Kennzeichen V-HP805 war abgebildet. „Da fliegt mir doch das Blech weg“, ächzte das Moped, nachsichtig erließ ich ihm das Kalauerstrafgeld. Wir waren wieder Freunde.

Der Brief an Frau M., in Braille-Schrift übersetzt, ging noch am selben Tag auf die Reise: „… weder ich noch mein Moped sind je auch nur in der Nähe von Mittweida gewesen.“ Daran wird sich, wir waren uns einig, bis auf weiteres nichts ändern.