: Stadt, Land, Fluss
IM DSCHUNGEL Das 6. Amazonas Film Festival in Manaus legt einen Schwerpunkt auf Umweltthemen. Viele Filme beantworten die Frage, wer die Welt ruiniert
VON BRIGITTE WERNEBURG
Warum an den Amazonas reisen? Mit dieser Eingangsfrage trifft der vor Ort gekaufte Reiseführer durchaus die eigene Unsicherheit über die Einladung nach Manaus, wo jetzt schon zum sechsten Mal das Amazonas Film Festival stattfindet. Doch am Ende lautet die Antwort wirklich, wie sie im Buch steht: um besser, um vielleicht überhaupt zu verstehen, was es mit diesem Gebiet auf sich hat, das einen der größten und gleichzeitig gefährdetsten Naturschätze der Welt darstellt. Und das gilt auch für seine Darstellung im Film. Dass es hier – nicht anders als überall sonst auf der Welt – einfach unmöglich ist, lebensfrohen Kindern zu ihrem eigenen Schutz zu verbieten, im nahegelegenen Fluss zu schwimmen, das weiß man, ohne den Amazonas zu kennen. Doch nur in der tropischen Schwüle des Regenwalds hat man plötzlich eine sehr deutliche Ahnung vom Schmerz und der Qual, die dieses Ansinnen im Alltag des Amazonas bedeutet.
Bei uns dürften nur wenige Leute „Parana, der kleine Indianer“, das Kinderbuch der französischen Fotografin Dominique Darbois, kennen, das Daniel Schweizer zum Ausgangspunkt seines Dokumentarfilms „Dirty Paradise“ machte. Doch im französischsprachigen Raum ist der Bildband einer paradiesischen Kindheit im Dschungel von Französisch-Guayana ein Klassiker. Noch heute scheinen Parana, dessen Kinder und Kindeskinder, die der Genfer Filmemacher ausfindig gemacht hat, im Paradies zu leben. Doch bald stellt sich heraus, dass die kleinen Wayana an einer degenerativen Nervenkrankheit ähnlich der Minamata-Krankheit in Japan leiden, verursacht durch das beim illegalen Goldabbau verwendete Quecksilber, das in den Gewässern von den Fischen aufgenommen wird. Die französische Regierung verweigert den Indianern bislang jede Unterstützung, sich gegen das Eindringen der schwer bewaffneten Goldwäscher in ihr Gebiet zur Wehr zu setzen. Ihr einziger Ratschlag: keinen Fisch mehr essen.
Green hängt am Tropf. Um sie nicht noch mehr zu gefährden, tragen ihre Pfleger Mundschutz und Gummihandschuhe. Menschenaffen können sich mit menschlichen Keimen und Viren tödlich infizieren. Wir sind jetzt, filmisch, in den Regenwäldern Indonesiens. Dort lebte Green, ein Orang-Utan. Sie ist zu apathisch, um zu fressen, einmal jammert sie, ein anderes Mal scheint es ihr besser zu gehen. Doch dann stirbt Green, und man meint, sie wollte einfach nicht mehr leben. Wohin sollte sie auch gehen? Zurück auf den verdorrten Baum inmitten eines endlosen, flachplanierten Erdreichs, dessen morsche Äste brechen, sobald ein Orang-Utan sich auf dem toten Holz fortbewegt? Die Regenwälder, in denen Green aufwuchs, gibt es nicht mehr. Stattdessen ist das Bild einer postapokalyptischen Welt zu bestaunen, deren trostloser Anblick einem schlicht das Herz bricht. Die Apokalypse haben eine stattliche Reihe globaler Unternehmen der Holz-, Pa- pier- und Lebensmittelindustrie mit Unterstützung der internationalen Finanzwelt ins Werk gesetzt.
Die Exkursion ins Feld ist nicht ohne Grund ein ganz wesentliches Mittel der Wissenschaft: warum also nicht zu den neuen Palmenplantagen Indonesiens reisen? Das wäre mein Vorschlag für die Vorstände, Aufsichtsräte und Lebensmittelingenieure von Nestlé et al., damit sie ihren Beitrag zu Patrick Rouxels – in Manaus mit dem Preis der Jury ausgezeichneten – Dokumentarfilm „Green“ richtig zu würdigen wissen. Der französische Filmemacher nennt in seinem Abspann als Verantwortliche für die Vernichtung der Tropenwelt neben Nestlé unter anderen Asia Pulp & Paper, Svenska Cellulosa Aktiebolaget, Sweden Cellmark, auch Knorr, Kraft und die Rainbow Energy Marketing Corporation, L’Oréal und The Body Shop trugen dazu bei. Dass sich Rouxel auch „bei den Konsumenten weltweit“ für ihre Mithilfe bedankt, das freilich ist wohlfeil und falsch dazu. Sein bös-ironischer Dank sollte den Aktionären der vorgenannten Firmen gelten.
Teure Torten helfen nicht
Denn nicht wir ruinieren die Welt. Sooft es uns auch eingebläut wird, auch in der Dokumentarfilmreihe des 6. Amazonas Film Festivals in Manaus, es wird dadurch nicht richtiger. Denn es sind im Fall der indonesischen Regenwälder die weltweiten Konsumenten doch nur eine in der lange Reihe verschiedenster Gruppen, die den multinationalen Konzernen zum Opfer fallen. Gewiss werden wir nicht so dramatisch zum Opfer wie Green. Aber so wenig die Wayana-Indianer auf den Fisch aus ihren Flüssen verzichten können, genauso wenig kommen wir ohne Pflanzenöl aus. Es hilft uns gar nichts, wenn wir statt zum Discounter zum Konditor an der Ecke gehen und statt billigem Gebäck teure Torten kaufen, denn Nestlé und Co. sind auch dort längst zu Hause. Ist es nicht bezeichnend, dass George „Nespresso“ Clooney für schnöde Dollar seine charmante Coolness an Nestlé und den Aluminiumkaffee verkauft? Wir dagegen subventionieren keineswegs freiwillig die Renditen auf das Geschäft mit Raps-, Soja- und Palmölplantagen. Dazu zwingt uns ein vom Umweltministerium unseres Landes initiiertes Biokraftstoffquotengesetz.
Gerade in Brasilien ist Biosprit das große Geschäft. Dass man sich damit auch Probleme eingehandelt habe, wollte selbst Nádia Cristina d’Avila Ferreira, Staatssekretärin von Amazonien für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung, nicht bestreiten. Das Treffen in ihrem Ministerium war ein Programmpunkt des Festivals, das Abenteuer, Natur und Umwelt als seine besonderen Themen betrachtet. Nádia Cristina d’Avila Ferreira legte Wert darauf, dass in ihrem Bundesstaat ein Anbauverbot für Zuckerrohr gelte. Weil sich der Zuckerrohranbau nun in den anderen Regionen ausweitet, ziehen Viehwirtschaft und Soja weiter. Soja aber darf im Bundesstaat Amazonien angebaut werden. Allerdings nur dort, wo der Regenwald schon geschädigt sei, wie d’Avila Ferreira betonte. Doch dem lässt sich leicht nachhelfen. Da nutzt alles Monitoring nicht, das ihre Behörde in verdienstvoller Weise betreibt. Das Pressegespräch war schwierig. Denn natürlich wünscht man sich, die Erfolgsmeldungen aus ihrem Haus zum nachhaltigen Tropenwaldschutz seien tragfähig. Seit 1988 war die Fläche, die abgeholzt wurde, nicht mehr so klein wie im letzten Jahr. Doch die private touristische Feldforschung in Manaus macht skeptisch.
Der brasilianische Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre ist der Stadt anzusehen. Der Staat hat Geld und renoviert die alten Gründerhäuser aus den Jahren des Kautschukbooms um das Teatro Amazonas herum. Und in der Gegend zum Rio Negro hin entdeckt man sogar einen neu angelegten Park. Wenn aber sonst etwas in der Stadt mit dem Flair einer Wildwestsiedlung neu und schick ist, dann handelt es sich entweder um ein Autohaus oder eine Tankstelle. Nun ja, Handwerksbetriebe können eben nicht auf der Basis des öffentlichen Personennahverkehrs operieren. Konsumverzicht ist kein praxistaugliches Mittel nachhaltiger Entwicklung.
Was hinderte Texaco – heute Chevron – eigentlich daran, die toxischen Abfälle, die bei den Ölbohrungen im ecuadorianischen Amazonasgebiet anfielen, umweltgerecht zu entsorgen? Nichts – außer der bewussten Unternehmensentscheidung, den kurzfristigen Profit von etwa 4,8 Milliarden Dollar über das Wohl von Mensch und Umwelt zu stellen. Dem steht jetzt eine Schadensersatzklage in Höhe von 27 Milliarden Dollar gegenüber, die fünf in der „Frente de Defensa de la Amazonia“ zusammengeschlossenen indigenen Völker vor einem ecuadorianischen Gericht gegen Chevron erhoben haben. Der Prozess hat das Potenzial, einen Präzedenzfall zu schaffen, der Millionen von Menschen, die Opfer von Unternehmen geworden sind, zugutekommen könnte. Das Publikum des 6. Amazonas Filmfestivals verlieh denn auch dem US-amerikanischen Dokumentarfilmer Joe Berlinger, der in „Crude – The Real Price of Oil“ das Tschernobyl im Amazonas recherchierte, seinen Preis für den besten Dokumentarfilm.
Kein Bußgottesdienst
Nein, nicht wir ruinieren die Welt. Umweltschutz ist kein katholischer Bußgottesdienst. Umweltschutz ist ein Politikum. Und deshalb ist es gut, dass die, die wie die indigenen Völker ohne Sünde sind, den ersten Stein werfen und den Gerichtsprozess wagen. Das heißt nicht, dass nicht auch die Konsumenten die Welt ruinierten. Haifischflossensuppe zum Beispiel ist ein Milliardengeschäft. Freilich nicht mehr lange. In den letzten 30 Jahren ist die weltweite Haipopulation um 90 Prozent geschrumpft. Diesen Raubbau an der Natur hat Rob Stewart, kanadischer Regisseur, Biologe und Unterwasserfotograf, 2006 in seinem Film „Shark Water“ dokumentiert. Der junge Mann mit der Ausstrahlung des unbeschwerten Surferboys war Teil der Jury der Dokumentarfilmreihe. Gefragt, wovon sein nächstes Projekt handelt, antwortete er: „Davon, wie man Revolution macht.“