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Archiv-Artikel

Koalieren in Zeiten der Finanznot

Inoffiziell verhandeln CDU und SPD schon. Hauptfrage: Was tun mit 14-Milliarden-Loch?

BERLIN taz ■ 14 Milliarden Euro – das ist nach Informationen der taz die Größenordnung, auf die das Bundesfinanzministerium die zusätzliche Lücke in den staatlichen Haushalten für 2006 beziffert. Damit beschreiben die Beamten von Finanzminister Hans Eichel (SPD) eine der Begrenzungen, die weder Union noch SPD in den Verhandlungen um die große Koalition ignorieren können.

Heute findet das zweite Sondierungsgespräch zwischen den Parteien statt. Obwohl es vordergründig noch darum geht, welche Seite den Kanzler oder die Kanzlerin stellt, haben die inhaltlichen Verhandlungen über den Vertrag der großen Koalition schon begonnen – obwohl sie noch niemand so nennt. Jedenfalls stehen heute neben der Kanzlerfrage auch mehrere Sachthemen zur Diskussion: Finanzen, Sozialsysteme, Arbeitsmarkt und Föderalismus.

Zum ersten Punkt wurde Eichel beauftragt, eine Vorlage zu erarbeiten: Wie stellt sich die finanzielle Lage dar? Nicht gut, lautet die Antwort. Weil sich die Europäische Union die hohen deutschen Defizite nicht länger gefallen lassen will, droht ab 2006 der Zwang, die strukturelle Lücke in den öffentlichen Etats um 0,5 Prozent pro Jahr zu senken. Rund 14 Milliarden Euro müssten dann zusätzlich beschafft werden – darüber hat SPD-Finanzexperte Joachim Poß SPD-Chefverhandler Franz Müntefering in der vergangenen Woche informiert.

Dem Geldmangel wird sich vieles unterordnen müssen. Die Einkommensteuer senken, wie die Union es will? Eher unwahrscheinlich. Die Unternehmensteuer reduzieren, wie beide es wollen? Die SPD schlägt hier vor, erst einmal die Struktur des Steuersystems zu ändern und die höhere Belastung des Mittelstands an die niedrigere für Kapitalgesellschaften anzugleichen. Erst später solle man dann über niedrigere Steuersätze auch für die großen Unternehmen sprechen.

Bei der Zukunft der Sozialversicherung geht es um die beiden Modelle Bürgerversicherung (SPD) und Kopfpauschale (Union). Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) steuert bereits auf einen Kompromiss zu. Sie würde der Union eine Teilfinanzierung des Pflegesystems durch private Kapitaldeckung seitens der Versicherten anbieten. Eine weitere Kompromissmöglichkeit liegt darin, bei der Krankenversicherung den Beitrag der Arbeitgeber einzufrieren. Beides kritisiert Karl Lauterbach, Gesundheitsökonom und SPD-Abgeordneter. Sein wichtigstes Argument: Die einseitige Verlagerung der Kostenzuwächse auf die Beschäftigten würde ihre Konsumnachfrage beschränken und damit die wirtschaftliche Erholung verhindern. HANNES KOCH