LESERINNENBRIEFE :
Vor allem Mutter
■ betr.: „Die Montagsdemonstrantin“, „Sie haben Angst vor weiblicher Lust“, taz vom 1. 12. 12
Mit „Sie haben Angst vor weiblicher Macht“ ist das Interview mit Siri Hustvedt auf Seite 21 der sonntaz übertitelt. Lustig, dass zwei Seiten vorher von einer „Würzburger Mutter“ die Rede ist. Obwohl Jennifer Gabel „fünf Tage die Woche im Marketing“ arbeitet, ist sie wohl vor allem Mutter. Hat die taz beziehungsweise Hannes Vollmuth, der Autor des Artikels, Angst vor weiblicher Macht?
CORINNA SANTA CRUZ, Frankfurt am Main
Die Quotentaz noch nicht verdaut?
■ betr.: „Für viele Lesben bin ich ein rotes Tuch“, „Sexismus ist nicht auf die Männer beschränkt, taz vom 1. 12. 12
Als lesbisch-feministische taz-Leserin fiel mir die Doppelspitze mit der Doppelschlagzeile „Für viele Lesben bin ich ein rotes Tuch“ und „Sexismus ist nicht auf die Männer beschränkt“ ziemlich verstörend ins Auge, weil sie zwar an zwei bewundernswerte Feministinnen gekoppelt ist, aber diese „Zitate“ auch antifeministisch und frauenspalterisch zu lesen sind. Absicht? Verkaufsfördernd? Schlagen hier tazler zurück, die die Quotentaz noch nicht verdaut haben?
Jedenfalls wären die zwei Innenüberschriften „Schön, wenn die Leute sich aufregen“ (Seite 26/27) und „Sie haben Angst vor weiblicher Macht“ (Siri Hustvedt, Seite 21) als Zwillingsbonmots auf Seite 1 der Hit gewesen!
Maren Kroymann drückt sich etwas unglücklich aus, wenn sie sagt, dass Lesben „alle in die Frauenbewegung gegangen“ seien. Nein, sie haben sie zum großen Teil getragen! Im Interview vermisse ich leider den Hinweis auf ihre genial-feministische ARD-Serie „Nachtschwester Kroymann“ aus den 90er Jahren, die ziemlich abrupt aus vermutlich vehement antifeministischen Gründen abgesetzt wurde. Und eine ihrer größten Filmrollen kommt am Ende doch zu kurz, die aus „Verfolgt“ von Angelina Maccarone.
Nebeneffekt: unbedingt ansehen! Und alle Bücher von Siri Hustvedt lesen! MARIA SCHMIDT, Berlin
Inhalt stimmt, Sprache nicht
■ betr.: „Eine Frau wehrt sich“, taz vom 28. 11. 12, „Westliche Werte“, Leserinnenbrief, taz vom 30. 11. 12
Ich hatte angenommen, auf den Artikel von Georg Blume gäbe es eine Flut von Protesten. (Nun sind es nur wenige, also schreibe ich doch noch.) Nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Sprache.
Zum Thema Frauen zur Abtreibung zwingen und der Misshandlungen von Frau Khurana kann es ja keine zwei Meinungen geben – dennoch ist die generelle Diktion Abtreibung = Mord, viele Abtreibungen = Holocaust der taz wirklich nicht würdig. Und Almut Harth merkt im Übrigen richtig an: Auch die Suggestion, dass eigentlich alle anderen Inder so sind wie Frau Khuranas Mann und Schwiegereltern, dürfte wohl doch übertrieben sein und gehört in die „So sind die Wilden“-Kategorie des Journalismus. SILKE KARCHER, Berlin
Mangel an Kultursensibilität
■ betr.: „Sprachbarrieren im Pflegeheim“, taz vom 3. 12. 12
Es ist wichtig, dass die Bedeutung der kultursensiblen Pflege in der Öffentlichkeit endlich wahrgenommen wird, daher habe ich mich gefreut, als ich den Artikel gesehen habe. Allerdings bin ich enttäuscht von der sehr oberflächlichen und zum Teil unangemessenen Behandlung des Themas – das passt nicht zur taz, die in der Regel doch differenziert und informiert mit migrantenbezogenen Themen umgeht.
Es beginnt mit dem ersten Satz: „Schon länger ist klar, dass viele Gastarbeiter im Alter nicht in ihre Heimat zurückkehren werden.“ Gastarbeiter! Wer verwendet denn dieses Unwort heute noch – ohne es wenigstens in Anführungszeichen zu setzen? Außerdem ärgern mich unpräzise, pauschale Aussagen, die nicht zu gutem journalistischen Schreiben gehören: Pflegerinnen, die „mehrere“ Sprachen sprechen, sind mehr als rar, es geht meist vielmehr darum, jeweils Pflegerinnen einzustellen, die eine der großen Migrantensprachen sprechen. Jemanden, der sowohl Türkisch als auch Russisch kann, wird man kaum finden.
Ein großes Problem besteht in der simplizistischen Auffassung von Kultursensibilität. Als Beispiel für Kultursensibilität wird etwa angeführt: zu wissen, dass man in manchen Wohnungen die Schuhe vor der Haustür ausziehen soll, Tricksereien zu beherrschen, mit denen die PatientInnen „dazu gebracht werden“, Tabletten zu schlucken. Das klingt nach einem Knigge, in dem auch steht, wie man auf dem Basar den richtigen Preis aushandelt. Das beste Beispiel für falsch verstandene Kultursensibilität kommt aber noch: Basteln vor religiösen Festen: „Zu Weihnachten gibt es Sterne, zum Opferfest Schäfchen“. Die PflegerInnen basteln mit den HeimbewohnerInnen Schäfchen – zum Opferfest?! Das habe ich bei meinen (türkischen) Großmüttern, Tanten … überhaupt nie gesehen! Basteln an sich ist ein kulturspezifisches Konzept, das außerordentlich deutsch ist. Man bastelt weder in der Türkei noch in anderen Ländern, in denen das Opferfest gefeiert wird, schon gar keine Schäfchen! Gerade für Demenzkranke ist es wichtig, an Bekanntes („aus der Jugendzeit“) anzuschließen, mit dem Basteln aber konterkariert man dieses Prinzip. Mich ärgert diese bevormundende, ethnozentrische und verniedlichende Haltung sehr. Es zeigt einmal mehr die fehlende Bereitschaft, sich ernsthaft mit dem anderen auseinanderzusetzen.
DILEK DIZDAR, Professorin für Interkulturelle Germanistik/Translationswissenschaft, Uni Mainz