AM ÜDERSEE : Ganz nett
Nett. Man könnte ein ganzes Buch über dieses Wort schreiben, zu dem ich ein äußerst gespaltenes Verhältnis habe. Findet man jemanden doof, kann das aber so nicht sagen, eignen sich die vier Buchstaben wunderbar, um sich aus der Affäre zu ziehen. Nett klingt oft nichts sagend und unverfänglich, das Wörtchen ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Mir würde es jedenfalls überhaupt nicht gefallen, wenn jemand nach einem Treffen über mich sagen würde: „Ja, nett.“
Ein Novemberwochenende bescherte mir eine Facette des Wortes, die mein gespaltenes Verhältnis zurechtrückte. Ich war bei Freunden, die an dem kleinen Üdersee in der Nähe des großen Werbellinsees ein Grundstück direkt am Wasser haben. Die Mutter ist eine Lehrerin, wie man sie sich wünscht, ihre zwei entzückenden Töchter Luka und Paula, 10 und 7 Jahre alt, sind nicht nur lustig und zupackend, sondern die einzigen Mädchen, die ich in Deutschland kenne, die gern Blutwurst essen. Das mag am Vater liegen, der Spanier ist, aber am Wochenende bei einem Angelwettbewerb irgendwo am Meer die Rute auswarf.
Wir Mädels ruderten auf die andere Seeseite, um Pilze zu suchen und finden, häkelten vor dem Holzofen, harkten Laub und um die von der Woche geschaffte Lehrerinmutter zu verwöhnen, etablierten wir das temporäre Restaurant „Üdersee Perle“: Es gab Salat mit Kaki und geräucherter Blutwurst, gekochte Blutwurst mit Sauerkraut und Kartoffelbrei, und am letzten Tag zeigte ich Paula und Luka, wie man Gnocchi macht.
Kurz vor der Rückfahrt nach Berlin zupfte mich die kleine Paula an der Küchenschürze und fuchtelte mit ihrem Kochlöffel herum: „Du musst mit uns nach Hause kommen!“ Auf mein Warum antwortete sie: „Weil du so nett bist.“ Aus ihrem Kindermund klang das Wörtchen so entwaffnend ehrlich, dass ich ihr einen Kuss auf die Wange gab.
BARBARA BOLLWAHN