„Vielleicht siegt ja die Berliner Wursch­tigkeit“

Das bleibt von der Woche Jede Menge Streit in den Bezirksparlamenten: Die AfD blamiert sich mit zwei Flachpfeifen als Kandidaten, die CDU drängt eine SPD-Kandidatin zur Aufgabe. Ausgerechnet die Grünen finden keine Verkehrssenatorin, und in Kreuzberg geht die Debatte übers Fraenkelufer wieder los

Partei ist wichtiger als gute Politik

Grüne und Verkehr

Die Grünen haben ihr Wunschressort, aber keinen Senator. Peinlich

Nach allem, was man von den sechs Wochen währenden Koalitionsgesprächen weiß, haben es die Grünen von Anfang an auf das Ressort Verkehr und Umwelt abgesehen gehabt. Ist ja auch logisch: Die Ökopartei schnappt sich bei Rot-Rot-Grün jene Senatsverwaltung, bei der sie ihre Kernkompetenzen einbringen und womöglich noch als Heilsbringer einer neuen Radpolitik in die Stadtgeschichte eingehen kann.

Wenige Tage nachdem am Mittwoch rot-rot-grüner Rauch über dem Roten Rathaus wehte, muss man sagen: Dumm gelaufen. Die Grünen haben zwar ihr Wunschressort – aber sie haben keine Senatorin und keinen Senator. Peinlicher geht’s nimmer. Denn wenn man seit sechs Wochen weiß, was man will, guckt man sich doch auch nach jemandem um, der es kann. Nicht so bei den Berliner Grünen.

Da galt die Spitzenkandidatin Ramona Pop als gesetzt. Die Reala übernimmt Wirtschaft. Weil die Parteilinke wiederum den Realos zeigen wollte, wo der Hammer hängt, hat sie Dirk Behrendt als Justizsenator nominiert. Dabei war Behrendt an der Fastspaltung der Grünen nach der enttäuschenden Kü­nast-Wahl 2011 mit die treibende Kraft. Erst ein Moderator hat die Fraktion wieder mit sich versöhnen können. Dass nun kein Versöhner, sondern der Spalter in den Senat kommt, ist für die Rea­los eine Provokation.

Und das dritte Amt? Das, mit dem die Grünen die Verkehrswende schaffen wollen? Das, worauf die Radfahrerinnen und Radfahrer ganz genau schauen? Geht unter in der grünen Parteiarithmetik.

Einer, der der Aufgabe gewachsen wäre, ist der Pankower Stadtrat Jens-Holger Kirchner. Doch der ist Realo und Mann. Weil die Parteilinke aber keinen zweiten Realo akzeptieren will und der Parteitag am 3. Dezember wahrscheinlich auch keinen zweiten Mann, ist Kirchner wohl aus dem Rennen. Die Grünen sind also blank. Es sei denn, am Ende kommt noch Kai aus der Kiste.

Wenn nicht, müssen die Grünen, bevor am Ende auch noch die Verkehrswende ausbleibt, die Reißleine ziehen. Warum nicht einfach das Ressort an die Linke geben? Der Proporz wäre immerhin gewahrt. Uwe Rada

Rechte CDU, machtgeile Grüne

Streit um Stadträtin

Kein Wort verlieren die Grünen über die Kalte-Kriegs-Rhetorik von CDU und AfD

Nein, das war wirklich „kein guter Start für die demokratischen Parteien in Steglitz-Zehlendorf“ – mit dieser Bewertung haben die Grünen recht. Die frühere Bundesvorsitzende der SPD-Jugendorganisation Jusos, Franziska Drohsel, hat sich dem Widerstand von CDU, AfD und FDP gebeugt und ihre Bewerbung um den Stadtratsposten für Jugend, Gesundheit und Integration in dem Bezirk zurückgezogen.

Das Vorschlagsrecht der SPD-Fraktion ignorierend haben sich die Rechten mit ihrer Skandalisierung von Drohsels einstiger Mitgliedschaft im linken Rechtshilfeverein Rote Hilfe durchgesetzt. Die Rechtsanwältin ist bei ihrem politischem Comeback-Versuch gescheitert: an rechten Ideologen – und grünem duckmäuserischem Machtstreben.

Drohsel sei „ohne Zweifel qualifiziert“ und hätte als junge Frau „frischen Wind ins Bezirksamt“ gebracht, teilten die Bezirks-Grünen nach deren Rückzug mit. Den Worten der Enttäuschung folgte eine ganz eigene, grüne Konsequenz: Nun wolle man „schnell zur Sacharbeit im Sinne unseres Bezirks kommen“. Kein Wort über die Kalte-Kriegs-Rhetorik, in der sich CDU und AfD zu einer unseligen Al­lianz zusammengefunden haben. Stattdessen wohlfeile Phrasen über einen „guten und fairen“ Umgang der Parteien.

Eine notwendige politische Einordnung der Geschehnisse vermied die Partei, schließlich hat man sich auf die Fortsetzung der Zählgemeinschaft – de facto eine Koalition – mit den Konservativen geeinigt. Die Ankündigung von Fraktionschefin Nina Stahr, noch einmal ernsthaft mit der CDU reden zu wollen, darf als Augenwischerei abgetan werden. Sie ist nichts als der freundlich-kritische Anstrich grüner Realpolitik.

Die CDU, so scheint es, will aus Feigheit oder Bequemlichkeit weiter mit den Grünen regieren, ideologisch scheinen sie der AfD aber deutlich näher zu stehen. Ihr Fraktionschef Thorsten Hippe, der einst wegen rechtslastiger Äußerungen ein Parteiausschlussverfahren am Hals hatte, begründete seine Ablehnung Drohsels in bester AfD-Manier: „Jemanden, der die deutsche Nation bekämpfen möchte, verhelfen wir nicht in ein Staatsamt.“ Der AfD, die sich an die Spielregel, die jeweiligen Kandidaten der anderen Partei mitzuwählen, sowieso nicht hält, verhalf Hippes CDU damit zu einem Triumph. Deren Abgeordnete Yvonne Cremer jubilierte: „Rote-Hilfe-Drohsel nicht gewählt – AfD wirkt!“

Erik Peter

Männer mit Durchfall­garantie

AfD in den Bezirken

Im AfD-Kosmos sind Hetzer und Verschwörungstheoretiker als Kandidaten normal

Parteisprecher Ronald Gläser war sich sicher: Einen „Topmann“ habe die AfD mit Nicolas Seifert für den Stadtratsposten in Pankow gefunden. Auch in Lichtenberg schicke die Partei mit Wolfgang Hebold einen „Superkandidaten“ ins Rennen. Und überhaupt: Die Berliner AfD verfüge über Bewerber für das Bezirksamt „mit ausgezeichneter Qualität“.

Seifert ist am Mittwochabend bei der Wahl im Be­zirks­parlament durchgefallen. Und auch bei Hebold, dessen Wahl am Donnerstag verschoben wurde, gilt als ausgeschlossen, dass andere Parteien ihn mittragen: fachlich inkompetent, Verwaltungsnovize, den Aufgaben nicht gewachsen, heißt es.

Zudem sind beide in der Vergangenheit negativ aufgefallen. Seifert war auf einer AfD-Demo auf ZDF-Reporter Ralf Kabelka losgegangen, Hebold vor seiner politischen Kar­riere vor allem als Hobbydiarist in Erscheinung getreten: In seinem Onlinetagebuch hetzte er gegen „Museltanten“ und räsonierte über Parallelen zwischen Islam und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Seinen Job als Hochschuldozent hatte er im Frühjahr verloren, weil er Onlineforen mit Hasskommentaren überzogen hatte.

Dass die AfD solche Leute in ihren Reihen hat, ist bekannt. Bemerkenswert ist allerdings, dass sie sie als Stadträte in Stellung bringt. Denn für die Entscheidungsträger aus der Parteispitze muss klar gewesen sein: Um ein bürgerliches Erscheinungsbild zu wahren, sollte man rechtslastig unbefleckte und sachkompetente Technokraten auf die Verwaltungsposten mit Millionenbudget schicken. Auch, um es anderen Parteien schwer zu machen, den AfD-Kandidaten abzulehnen.

Dass dies den Rechtspopulisten nicht gelungen ist, lässt zwei Schlüsse zu. Entweder konnte das Parteiestablishment nicht verhindern, dass Spinner und Radikale nach den Ämtern streben, weil es der jungen Partei an Personal und Know-how mangelt. Wahrscheinlicher ist indes: Die Parteioberen um Landeschef Georg Pazderski wollten es nicht verhindern. Sie sehen schlicht kein Problem darin, wenn einer Verschwörungspamphlete verbreitet und so lange wütet, bis er seinen Job verliert. All das scheint im AfD-Kosmos längst normal zu sein – echte Superkandidaten eben. Robert Pausch

Bericht

Nicht alles, was ist, ist gut

Fraen­kel­u­fer-Abstimmung

Manche mögen das Ufer schön finden – andere kommen nicht einmal hin!

Nach nur mäßig star­kem Regen war am Mitt­woch wie­der stellenweise Land­ un­ter am Fraen­kel­u­fer. Auf dem san­dig-na­tur­be­las­se­nen Geh- und Rad­weg am Land­wehr­ka­nal in Kreuz­berg bil­den sich bei sol­chen Wet­ter­la­gen immer Pfüt­zen gi­gan­ti­schen Aus­ma­ßes; nur an den ge­pflas­ter­ten Rän­dern ist es dann mög­lich, tro­cke­nen Fußes oder ohne Spritz­was­ser per Rad vo­r­an­zu­kom­men. Nun plant der Be­zirk, das Är­ger­nis an­zu­ge­hen – doch das Bür­ger­be­geh­ren „Fraen­kel­u­fer ret­ten“ will lie­ber alles so las­sen, wie es ist, und nur in­stand ­set­zen.

Nun ist es grund­sätz­lich nicht falsch, bei Vor­ha­ben in punc­to Land­wehr­ka­nal miss­trau­isch zu sein: Man er­in­ne­re sich etwa an die Pläne, Hun­der­te Bäume zu fäl­len, um die Ufer­mau­ern zu sa­nie­ren. Nur en­ga­gier­te Baum­schüt­ze­rIn­nen haben die­sen Wahn­sinn sei­ner­zeit ver­hin­dern kön­nen.

Doch bei die­sem Be­geh­ren schei­nen die Bür­ge­rIn­nen das All­ge­mein­wohl aus dem Blick ver­lo­ren zu haben. Was ist da­ge­gen zu sagen, wenn der Be­zirk den Weg mit „Na­tur­stein­pflas­ter mit was­ser­durch­läs­si­gen Fugen“ aus­le­gen will, damit er bei jedem Wet­ter be­nutz­bar ist? Was ist gegen eine Ver­brei­te­rung des Wegs ein­zu­wen­den für Sitz­bän­ke und Pa­pier­kör­be? Bei­des sucht man an die­sem schö­nen Stück Kanal näm­lich ver­geb­lich.

Eben­so den bar­rie­re­frei­en Zu­gang zum Ufer, den der Be­zirk nun schaf­fen will. Und so nett die sogenannte Schneckentreppe an der ehe­ma­li­gen Mün­dung des Lui­sen­städ­ti­schen Ka­nals ist, die die Bürgerbewegten nun in Gefahr sehen: Mit Kin­der­wa­gen, Fahr­rad oder für Mo­bi­li­täts­ein­ge­schränk­te ist der Weg ans Was­ser ein Hin­der­nis­lauf. Romantische Stadtwildnis in allen Ehren, aber hier kann man durchaus Handlungsbedarf anmelden. Nicht einsichtig ist auch, warum sich die Bür­ger­i-Ini über Park­ta­schen aufregt, die künf­tig längs und nicht mehr quer zur Stra­ße lau­fen sol­len! Dabei sol­len es laut Be­zirk nicht ein­mal we­ni­ger Park­plät­ze wer­den.

Kurz und gut: Nicht alles, was ist, ist gut. Und ein paar Meter wei­ter, Richtung Böck­ler­park, wo der Weg in die­sem Som­mer be­reits neu ge­macht wurde, hat der Be­zirk doch auch ge­zeigt, dass eine be­hut­sa­me Sa­nie­rung mög­lich ist.

10 Pro­zent der rund 210.000 Friedrichshain-KreuzbergerInnen müss­ten die In­itia­to­ren beim Bür­ger­ent­scheid am Sonn­tag in einer Woche auf ihre Seite zie­hen. Aber viel­leicht siegt ja wieder mal die Ber­li­ner Wursch­tig­keit, und nie­mand geht hin. Susanne Memarnia