: Ich bin einkaufen!
Warum Listen das Leben in diesen politisch ach so schweren Zeiten erleichtern
Damit die Dinge meines Lebens nicht in Unordnung geraten, führe ich Ordnungslisten. Ganz oben auf der Wichtigkeitsskala steht selbstverständlich der überlebenswichtige Einkaufszettel. Der aber wäre ganz und gar nutzlos, gäbe es nicht die Erledigungsliste, auf der das aktuell abzuarbeitende Pensum lückenlos festgehalten ist und auf der deswegen „einkaufen gehen und Einkaufszettel mitnehmen“ erste Priorität hat.
Die Lebenserfahrung sagt außerdem, dass es vorteilhaft ist, im entscheidenden Moment, nämlich an der Supermarktkasse, einen seriösen Eindruck, also ausreichend Zahlungsmittel zu hinterlassen. Wichtig ist deswegen auch, dass ich mich gelegentlich darum bemühe, der Liste mit der Überschrift „Geldverdienen“ die nötige Aufmerksamkeit zu widmen.
Denjenigen, die das bisher Geschriebene für reichlich banal halten, erwidere ich, dass die Konzentration auf die vordergründig einfachen Verrichtungen des täglichen Lebens nicht unterschätzt werden darf. Das gewöhnliche Leben braucht Struktur. Regelmäßige Mahlzeiten, immer was Sauberes zum Anziehen in der Kommode, friedliche Koexistenz mit dem Geldinstitut – dafür will gesorgt sein. Lässt man diese Dinge zu lange schleifen, kann es passieren, dass einen nicht nur ein leerer Kühlschrank angähnt, sondern dass man von etwas viel Dramatischerem bedroht wird: von der intellektuellen Verwahrlosung.
Wenn mich meine Wahrnehmung nicht täuscht, wäre in Zeiten wie diesen schon einiges erreicht, wenn wieder mehr Menschen Einkaufs- und Besorgungslisten führen würden. Wie beruhigend wäre es, wenn etwa das politische Personal morgens unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit mal in aller Ruhe „Butter, Brot, Klopapier“ auf den Zettel schreiben würde, anstatt ein noch bettwarmes Publikum schon in den Frühnachrichten des Radios mit Tagesthemen wie „Terminpläne für Sondierungsgespräche“ zu belästigen.
Die Penetranz, mit der den Insassen dieses Landes seit Wochen und Monaten unaufgefordert angeblich existenziell wichtige Dringlichkeitslisten ins Dasein gereicht werden, sorgt für Wirklichkeitsverzerrung und hat Unordnung zur Folge. So hat zum Beispiel die Fahrlässigkeit, mit der ich mich der Berichterstattung über den letzten Wahlkampf ausgesetzt habe, dazu geführt, dass ich vorübergehend den Kopf verlor. Eines Morgens fand ich auf meiner Erledigungsliste nicht etwa den dahin gehörenden Satz „Hemden in die Reinigung bringen“, sondern ganz obenauf den mit drei Ausrufezeichen versehenen Imperativ „Unbedingt und sofort den Mittelstand fördern!!!“.
Dass ich aber höchste Gefahr lief, schon ganz bald überhaupt keine Tasse mehr im Schrank zu haben, wurde mir am Vortag der Wahl bewusst, als ich an der Käsetheke des Supermarktes eine vor mir auf Bedienung wartende, ausgesprochen attraktive Kundin mit einer absolut kontakttötenden Gesprächseröffnung belästigte: „Finden Sie nicht auch, dass Deutschland gründlich dereguliert werden muss, und wollen wir beide nicht sofort damit anfangen?“
Seitdem konzentriere ich mich wieder auf die wesentlichen Dinge. Ich sorge dafür, dass ich mental regeneriere und schreibe ganz rudimentäre Einkaufs- und Erledigungslisten. Es darf nicht dazu kommen, dass ich restlos verblöde. Das Schicksal vieler anderer Menschen ist mir Warnung genug. Ich will nicht jenes soziopathologische Nutzlosigkeitsstadium erreichen, in dem mir nichts anderes mehr übrig bleibt, als mich an Werbekampagnen wie „Du bist Deutschland“ zu beteiligen. Ich bin nicht Deutschland. Ich bin einkaufen. FRITZ ECKENGA