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Archiv-Artikel

Der Prinz vom Rhein bleibt ein Rätsel

TESTSPIEL Wieder einmal glänzt Lukas Podolski im DFB-Trikot. Bei einem Münchner kriselt es dagegen

GELSENKIRCHEN taz | Vielleicht hat sich Philipp Lahm an diesen einen Abend im letzten Juni erinnert gefühlt, an diesen einen Spanier, der diesen einen Augenblick gedankenschneller als er war. Er nahm Lahm, dem besten Linksverteidiger der Welt, den Ball weg und schoss das einzige Tor im EM-Finale. Damals war es der erste Fehler Lahms im Nationalteam, der Konsequenzen hatte, es war der erste Makel in der Vita eines Fußballers, der lange unfehlbar schien.

Am Dienstagabend waren es zwei Ivorer, die ihn düpierten. Lahm sah vor allem beim 2:1 des Teams von der Elfenbeinküste nicht sonderlich gut aus, als ein einfacher Haken genügte, um ihn ins Leere laufen zu lassen. Er wirkte verunsichert. Joachim Löw verkniff sich eine detaillierte Einschätzung, er war mit dem Spiel angesichts der Umstände nicht unzufrieden.

Philipp Lahm jedenfalls war gegen das wohl stärkste afrikanische Team ein gewöhnlicher Außenverteidiger, dabei war er doch in den letzten drei Jahren stets der deutsche Vorzeigeprofi gewesen; einer, der die Gegebenheiten des Geschäfts nicht für unverrückbar hält und der sich seinem Arbeitgeber durch konstruktive Kritik verpflichtet fühlt.

Vor zwei Wochen hatte Lahm erklärt, dass die Dinge beim FC Bayern nicht zum Besten stehen. Er wurde abgestraft und durfte sich von den Bayern noch anhören, dass er ja selber gerade nichts kann. Es ist bedauerlich, das Lahm sich auf dem Fußballplatz dem Niveau seines Arbeitgebers angepasst hat. Der vielleicht beste deutsche Fußballer steckt in einer Krise.

Am Mittwochabend in Gelsenkirchen gab es nicht nur den etwas deprimierten Außenverteidiger, über den heftig diskutiert wurde. Es gab auch den Anti-Lahm. Es war Lukas Podolski, und der hatte wieder einmal ein Spiel im DFB-Trikot absolviert, dass das Prädikat Weltklasse verdiente. Zwei Tore hatte er erzielt, das erste per Elfmeter, den er wie selbstverständlich verwandelte, das zweite in der Nachspielzeit, als er seine Vorzüge als Stürmer mit Bewegungsfreiheit mit einem satten, aber nicht unhaltbaren Torschuss zum 2:2 dokumentierte. Nach erfolgreichem Abschluss zeigte Podolski gen Himmel: „Alle wissen ja, isch binn Katholik. Die Tore waren für Robert. Der Robert schaut von oben zu.“

War es derselbe Podolski, der im Verein seit Wochen auf dem Niveau eines bestenfalls brauchbaren Angreifers spielt? „Er hat ja eine ungeheure Spielfreude, und wir wissen um sein Potenzial, das riesig ist“, sagte Bundestrainer Joachim Löw, der Podolski in Stefan Kießling einen guten Partner an die Seite gestellt hatte. Der Leverkusener behauptete Bälle, ließ abtropfen, leitete weiter. Aber Podolski war an jeder gefährlichen Aktion beteiligt. Nachher sagte er: „Isch binn zofrieden.“

Und dennoch bleibt der Prinz vom Rhein ein Rätsel. In der Nationalelf ist er eine gestandene Spielerpersönlichkeit, ein junger Mann, der Verantwortung wie selbstverständlich übernimmt. Und im Klub? Podolski wählte freiwillig das sportliche Mittelmaß in seiner Heimat. Für die großen Momente ist das Nationalteam zuständig. 24 Jahre ist er alt, 39 Tore hat er in 64 Länderspielen erzielt, und wenn er so weitermacht, wird er bald noch Rekordtorschütze des DFB. Die Metamorphose vom Teilzeit-Paralysierten zum Weltklasse-Angreifer vollzieht sich in Sekundenschnelle, Hautkontakt genügt. Das DFB-Trikot scheint Zauberkräfte zu besitzen.

STEFAN OSTERHAUS