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Archiv-Artikel

Nichts mehr über die Liebe

JUBILÄUMSGALA Viele Lieder, ein paar Bücher und seit zwei Jahren im Südblock auch wieder die Flittchenbar: Christiane Rösinger kennt Pop als Schmiermittel und empfiehlt die Geselligkeit als Mittel gegen Melancholie

Weltuntergangsgala in der Flittchenbar

Bevor die Welt am 21. Dezember laut eigenwilligen Auslegungen des Maya-Kalenders untergeht, soll nochmal ordentlich gefeiert werden, und zwar in der Flittchenbar. Mit dabei sind alle Musiker, die Gastgeberin Christiane Rösinger in den letzten zwei Jahren in den Südblock geladen hat: Ja, Panik (Foto), Jens Friebe, Half Gril, Vera Kropf, GinumSilum, Claudia Fierke, Rike Schuberty und Suse Wächter mit ihren Mörderpuppen, Barbara Wagner, Schwarz und Maas & Fiktschen. Die Künstler präsentieren einen Weltuntergangsevergreen aus den letzten 60 Jahren und die schönsten Apokalypsesongs aus dem eigenen Repertoire. Wie immer wird Rösinger als Moderatorin durch das Programm führen, ähnlich wie in einer Fernsehshow. Und das beliebte Quiz „Erkennen Sie die Melodie“ gibt es natürlich auch wieder, vielleicht zum allerletzten Mal.

■ Südblock: Admiralstraße 1/2. Donnerstag, 21 Uhr. 6 €

INTERVIEW LISA FORSTER

taz: Frau Rösinger, jetzt am Donnerstag feiert die Neuauflage der „Flittchenbar“ im Südblock am Kottbusser Tor ihr zweijähriges Jubiläum. Wie kam es zur Wiederaufstehung?

Christiane Rösinger: Ich hatte mit anderen zusammen die „Flittchenbar“ bis 2000 in der alten Maria am Ostbahnhof gemacht, die ja dann abgerissen wurde. Da hatten wir auch ein tolles Arrangement mit den Leuten dort, haben einfach Getränke vom Club genommen, verkauft und irgendwie abgerechnet. Das würde inzwischen alles nicht mehr funktionieren, weil sich das Nachtleben so stark kommerzialisiert hat. Das ist ein ganz anderer Spirit jetzt. Als dann vor zwei Jahren der Südblock öffnete, haben die Betreiber mich angefragt, bei ihnen einmal etwas zu veranstalten. Dort hatte ich gleich den Eindruck, dass es noch Raum für eigene Ideen gibt und ein offenes Konzept herrscht, weshalb ich mich entschloss, die „Flittchenbar“ neu zu eröffnen.

Welche Rolle spielt das „Flittchen“ im Namen der Bar?

Wir haben fast immer 50 bis 80 Prozent Musikerinnen auf der Bühne. Das Argument, dass es so wenige Musikerinnen gibt, stimmt auch nicht. Man muss einfach mal ein bisschen überlegen und suchen. Als ich 1997 mit Almut Klotz das Label „Flittchen Records“ gegründet habe, war das in der Zeit der Riot Grrrls und der von ihnen verkörperten Bitchisierung als Gegenbewegung und Selbstermächtigung. Das „Flittchen“ war dann schon die Ironisierung davon, weil „Flittchen“ eigentlich ein total harmloser Ausdruck für „Bitch“ ist.

Durch die Mottos der „Flittchenbar“ zieht sich ein Depressions- und Endzeit-Gestus, der auch an Ihre Musik erinnert. Über Ihr 2010 erschienenes Soloalbum „Songs of L. And Hate“ sagten Sie mal, es sei das „traurigste Album aller Zeiten“.

Auch wenn diese Aussage vielleicht übertrieben war, war sie durchaus ernst gemeint. Bei der Platte befand ich mich in einer traurigen Zeit und hatte großen Kummer. Ich würde mich schon als Menschen bezeichnen, der zur Schwermut neigt, aber auch zur anderen Seite, womit wir wieder bei der „Flittchenbar“ sind. Heitere Geselligkeit ist schließlich das beste Konzept gegen die Melancholie.

Bedeutet traurige Musik also auch eine traurige Stimmung bei den Menschen? Schreibt und hört man Popmusik, weil man traurig ist?

Ich habe immer Lieder über die Unmöglichkeit von Beziehungen geschrieben, auch Bücher. Da war stets die Frage, ob ich das geschrieben habe, weil es mir so gegangen ist, oder ob es mir so ergangen ist, damit ich dann Lieder darüber schreiben kann. Das weiß man nicht. Grundsätzlich sind bei Popsongs die traurigen immer die schöneren und ausdrucksstärksten. Mich nervt das aber auch, wenn über mich geschrieben wird, ich sei so depressiv. Das stimmt einfach nicht. Die meisten Leute können einfach nicht mehr diese Ambivalenzen zwischen Traurigkeit und Humor aushalten.

Beim Motiv der Traurigkeit in Ihrem Schaffen könnte man auch an einen Albumtitel der mit Ihnen befreundeten Band Ja, Panik denken: „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“.

Ich würde sicher sagen, dass Kapitalismus tötet und arm macht, aber mit der Traurigkeit würde ich ihn nicht direkt verbinden. Traurigkeit würde auch in anderen Gesellschaften vorkommen. Das, was der Kapitalismus macht, ist noch mal was anderes.

Mit Liebe als „Schmiermittel, um den Kapitalismus und die neoliberale Gesellschaft zu ertragen, wie Sie das in Bezug auf Ihr Buch „Liebe wird oft überbewertet“ formuliert haben?

Ja, genau.

Ist Pop auch ein solches Schmiermittel?

Bei Pop ist es ja so, dass man ihm gern noch Momente des Protests einschreiben möchte. Aber das stimmt natürlich überhaupt nicht. Pop ist ganz stark den Gesetzen der Industrie unterworfen und drückt ein Lebensgefühl aus, das immer schon für Werbung und alle möglichen, das System bestätigende Dinge benutzt wurde.

Ist das ein Grund dafür, dass Sie sich zuletzt eher dem Schreiben als der Musik gewidmet haben? Gerade steht Ihr Buch über Ihre Reise nach Baku zum Eurovision Song Contest an.

Nein, das Buch ist gerade fertig geworden, und jetzt ist erst einmal Schluss mit dem Bücherschreiben. Ich plane nun eine neue Platte, bei der ich nichts mehr über vergebliche Liebe machen möchte. Keine traurigen Lieder mehr. Auch an dem aktuellen Buch finde ich gut, dass es dabei nicht um Liebe geht, sondern um Politik, Gender und Gentrification. Nichts mehr über die Liebe, ich habe genug.