piwik no script img

„Wer hat das gebaut?“

olympia Neville Gabie ist Künstler und begleitete die Spiele 2012. Wenn alle nur auf Stadienarchitektur schauen, will er Arbeiter sichtbar machen

LAUSANNE taz | Neville Gabie hat sich das Werden Olympias angeschaut. „18 Monate war ich bei den Bauarbeiten dabei“, erzählt der südafrikanische Künstler. Der 57-Jährige war „Artist in Residence“ bei den Spielen 2012 in London. „Ich hatte überall Zutritt“, berichtet er, „aber ich musste jeden Schritt einzeln beantragen.“ Kurz vor den Spielen war die Mission allerdings beendet, die Spiele selbst hat er als Zuschauer, der horrende Ticketpreise zu zahlen hatte, erlebt.

Aber bis zur Eröffnungsfeier war Gabie der Chronist dieses Megaprojekts. „Es war der Kern meines Anliegens“, sagt er, „den Leuten, die die Sachen gebaut haben, die Arbeiter, die Busfahrer, die Architekten, die Sicherheitsleute sichtbar zu machen.“ Er hat es mit Videos getan, mit einem Fotoprojekt, und er hat Künstlern, die in einem alten Fabrikgebäude, das für die Olympiabauten abgerissen wurde, ihre Ateliers hatten, eine Öffentlichkeit gegeben. „Den Artist in Residence sollte es immer geben, aber es gab ihn nur einmal“, sagt Gabie. Es war auch nicht das Internationale Olympische Komitee (IOC), das Gabie dieses Stipendium gab, sondern die Olympic Delivery Authority, die Behörde, die für die Bauarbeiten verantwortlich war.

Gabie erlebte den zweiten von drei Schritten der Bauarbeiten. „Zunächst geht es um die Bewerbung, dann – nach der Entscheidung – wird intensiver gebaut, und nach den Spielen muss weiterentwickelt werden“, erklärt Geraint John, der als Architekt unter anderem für das Londoner Olympiastadion zuständig war. „Diesen dritten Schritt hat es früher nicht gegeben.“ Der Nachhaltigkeitsgedanke verändert auch die Stadionarchitektur, wie eine neue Ausstellung des Olympischen Museums im schweizerischen Lausanne zeigt. Die Arena der Zukunft sieht aus, wie das Gartenstadion im chinesischen Dalian geplant ist: die Außenwand als aufgeklappte Rasenfläche. Oder die Idee amerikanischer Architekten, die ein Baseballstadion in eine Landschaft aus Shoppingmalls und Bürohäusern platzieren möchten. „Das ist der interessanteste Entwurf“, sagt Geraint John.

Auch London 2012 wird in Lausanne gezeigt, denn es gilt als Nachhaltigkeitsbeispiel. Ein Teil des Olympiaparks wird schon jetzt für Naherholung genutzt, bis 2030 sollen ein Campus und ein multikulturelles Wohnviertel hinzukommen. Die Basketball- und die Wasserballhalle sollen vollständig zurückgebaut werden; andere, wie Hockey- oder Schwimmstadion, werden verkleinert.

Die Arbeiten von Neville Gabie bilden einen Kontrapunkt zu den Planungen, die in der Lausanner Schau zu sehen sind. Eine Arbeit Gabies wird dort gezeigt, die viel über seinen Ansatz verrät: Ein Ort erinnerte ihn an das Bild „Badestelle in Asnières“, das George Seurat 1884 gemalt hatte. „Es war für die damalige Zeit ein revolutionäres Bild, denn es zeigte erstmals die Arbeiterklasse, wie sie sich erholte.“ Das Gemälde inspirierte ihn zu einem Foto: Sorgfältig drapierte er Bauarbeiter und Security-Angestellte ans Ufer eines Kanals – so wie sie Seurat auch platziert hatte. „Auch darum geht es bei meiner Kunst: Wer hat das gebaut?“

Neville Gabie kann vergleichen. Er hat nicht nur die Londoner Bauarbeiten genau verfolgt, sondern auch in Südafrika Bauten und Nachnutzung der Stadien der Fußball-WM 2010 erlebt. „London war in jedem Fall besser als der World Cup in Südafrika“, sagt er. „Die Arbeitssicherheit und das Gesundheitssystem für die Arbeiter, unter denen ja viele Arbeitsmigranten waren, war in London nicht schlecht“, sagt Gabie, auch wenn die vielen Vorschriften seine Arbeit erschwert haben. Ein Projekt etwa war, dass er sich auf jeden der 70.000 Plätze im Olympiastadion setzen wollte. „Als ich mal auf dem Rasen stand, bemerkte ich, wie klein man sich da fühlt. Ich hatte die Idee, herauszufinden, was man wo aus sieht.“ Die zuständige Baufirma verweigerte ihm die Lizenz, Gabie machte es dann einfach ohne Erlaubnis; ein Freund und sein Sohn zeichneten das Projekt auf Video auf. „Alle Sitze habe ich nicht geschafft“, lacht Gabie, aber ihm gelang es doch zu zeigen, wie unterschiedlich die Perspektive jedes einzelnen Besuchers ist. „Das war ja meine Rolle hier: zu reflektieren und zu verstehen, was dort passiert.“ Martin Krauss

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen