: „Die Art des Denkens“
HANNAH-ARENDT-PREIS Die israelische Neuhistorikerin Yfaat Weiss ist eine eminent politische Denkerin
■ 68, Politologin, emeritierte Professorin am Oldenburger Hannah Arendt-Zentrum, dessen Gründerin sie ist. Seit 1995 Jurorin des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken.
taz: Frau Grunenberg, die diesjährige Hannah-Arendt-Preisträgerin ist nicht so bekannt wie ihre VorgängerInnen …
Antonia Grunenberg: Das stimmt.
Woran liegt das?
Stellt sich diese Frage wirklich? Wahrscheinlich, weil sie noch vergleichsweise wenig publiziert hat, zumal in deutscher Sprache, und möglicherweise auch daran, dass Yfaat Weiss als Neuhistorikerin Themen bearbeitet, deren Bedeutung sich nicht jedem sofort erschließt. Aber wir haben sie ja nicht ausgewählt, weil sie unbekannt oder bekannt ist, sondern, weil wir die Art ihres Denkens bewundern. Gerade ihr neues Buch …
… Sie meinen „Verdrängte Nachbarn“, über die Vertreibung der Araber aus Haifa?
… aus Wadi Salib, einem Stadtteil Haifas. Ja. Das Buch zeichnet minutiös ein Geschehen nach, mit Zeugenaussagen, mit Dokumenten der Stadtverwaltung, wirklich als Mikrogeschichte, und noch dazu aus den späten 1950er- Jahren, die sonst kaum im Fokus stehen. Aber das Schöne ist: Es ist jederzeit erkennbar, wie stark uns das heute noch angeht, welche Bereiche diese Geschichte bis heute beeinflusst.
Weil sie im aktuellen jüdisch-arabischen Konflikt fortgesetzt wird?
Ja. Sie ist von ungeheurer Aktualität. Das ist eine Mikrogeschichte von Weltgeltung. Wer das liest, wird daran keinen Moment zweifeln. Und zugleich bekommt er eine Ahnung von der ungeheuren Komplexität des aktuellen Konflikts.
Also ist das die politische Dimension?
Aber nicht in dem Sinne, dass sie Lösungsvorschläge oder gar Programme verkünden würde. Nur implizit formuliert sie dabei die Frage nach der Möglichkeit einer jüdisch-arabischen Bürgergesellschaft. Das macht sie sehr feinsinnig – und das hat die gesamte Jury begeistert, die mit einer großen Euphorie hinter dieser Entscheidung steht.INTERVIEW: BES
Preisverleihung: 18 Uhr, Rathaus, Kolloquium: Sa, 10-13 Uhr, Institut français, Contrescarpe 19