: Die Qual auch nach der Wahl
Hamburger Bundestagsabgeordnete von CDU und SPD über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen einer großen Koalition im Bund. Alle vier hatten vor der Bundestagswahl über ein schwarz-rotes Bündnis am liebsten überhaupt nicht sprechen wollen
Von Sven-Michael Veit
Euphorie klingt anders. „Hilft ja nichts. Wir müssen mit dem Ergebnis der Wahl arbeiten“, sagt der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Ortwin Runde über die Gespräche zwischen CDU und SPD in der Hauptstadt über die Bildung einer Großen Koalition. Er sei „noch nie“ ein Anhänger eines solchen Bündnisses gewesen, bekräftigt Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister, aber „so sieht es jetzt eben aus“.
Auch Christdemokratin Antje Blumenthal, auf Landeslistenplatz 3 in den Bundestag gewählt, fügt sich in das scheinbar Unvermeidliche: „Die Wähler haben so entschieden.“ Der Auftrag an die Volksvertreter sei nun, „damit zu leben“. So sieht es auch Olaf Scholz, der in Altona erneut das Direktmandat gewann: „Wir müssen es versuchen“, sagt der einstige SPD-Generalsekretär, der nächste Woche in eine Schlüsselposition der Bundestagsfraktion gewählt werden soll. Als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer wird er an der Nahtstelle zwischen den beiden potenziellen Regierungsfraktionen sitzen. Ein schwarz-rotes Bündnis werde „schwer sein, aber schwere Aufgaben sind nicht unlösbar“, glaubt Scholz, der im taz-Streitgespräch mit Blumenthal vor vier Wochen über eine Große Koalition noch sagte, es gäbe „zu große Differenzen, als dass das funktionieren könnte“ (siehe Kasten).
Von Begeisterung weit entfernt ist auch Dirk Fischer: „Keine aufrichtige Freude“ empfindet der Landesvorsitzende der Hamburger CDU, der bei der Wahl als Spitzenkandidat erneut in den Bundestag einzog: „Das wird keine Wunschkoalition.“ Er selbst sei „für Jamaika“ gewesen, aber diese schwarz-gelb-grüne „Schwampel“ sei wegen der Ablehnung der Grünen „leider nicht darstellbar gewesen“. Also müssten CDU und SPD sich „zusammenraufen“, nach dem Spitzengespräch am Sonntagabend würden „alle schlauer sein“, vermutet Fischer.
Nach Ansicht von Runde ist es jedoch „fraglich, wie beweglich die CDU ist“. Er sieht in der Steuer- und Gesundheitspolitik „die Trennlinie“ zwischen SPD und Union: „Da müssen wir sehr genau ausloten, was geht.“ Keine Prognose möchte er, der als Spitzenkandidat der Hamburger SPD in die Wahl ging, über die Person des Regierungschefs abgeben. Angela Merkel oder Gerhard Schröder – das müsse auch im Gesamtzusammenhang der Verhandlungsergebnisse „bewertet“ werden, findet Runde.
Ebenso wie seine Fraktionskollegin Blumenthal sieht Fischer in der K-Frage hingegen keinen Verhandlungsspielraum. Die CDU als stärkste Fraktion werde „die Kanzlerin stellen und auch den Bundestagspräsidenten“, stellt Fischer klar. Bei einem schwarz-roten Bündnis mit Schröder als Kanzler „würden wir uns selbst verraten“, sagt Blumenthal, und das komme „überhaupt nicht“ in Frage.
Scholz allerdings hält „Schröder für durchsetzbar“. Die Union habe keine Chancen auf Mehrheiten im Bundestag für ihre Programmatik, die SPD hingegen sei in der Lage, in allen Lagern Zustimmung für einzelne Vorhaben zu erreichen. Damit spreche er „selbstverständlich nicht“ von einer Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten, stellt Scholz klar. Er wolle nur darauf hinweisen, „dass die SPD strukturell und inhaltlich die dominierende Partei ist“ und deshalb den Kanzler stellen müsse.
Das sieht Blumenthal unter Verweis auf das gestrige taz-Interview mit dem grünen Fraktionschef Fritz Kuhn vollkommen anders. Dort hatte Kuhn den Verzicht der SPD auf das Kanzleramt gefordert. „Die Grünen sind mir richtig sympathisch geworden“, sagt Blumenthal: „Die wackeln nicht hin und her.“