LeserInnenbriefe
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Pejoratives Wort

betr.: „Der ‚Dschungel‘ liegt in Schutt und Asche“, taz v. 27. 10. 16

Danke für die Anführungszeichen. Man sollte aber noch deutlicher machen: „La jungle“, in naiver Übersetzung „der Dschungel“, ist ein pejoratives Wort, gewählt aus der herablassenden, eurozentristischen Perspektive rechter Calaisien. Die rassistische und hochmütige Konnotation geht in der wörtlichen Übertragung verloren, deutsche Entsprechungen gleicher Qualität wären etwa „Kral“ bewohnt von „Hottentotten“. Vor 100 Jahren wäre das allgemeindeutscher O-Ton gewesen, der heute glücklicherweise nur noch in beschränkten Kreisen üblich ist.

HAWE KEMEN, Troisdorf

Vertrauenskrise

betr.: „Lauterbach fordert Widerspruchslösung“,taz vom 25. 10. 16

Leider ist das erwiesenermaßen missbrauchsanfällige System für Organspenden in Deutschland noch nicht reformiert. Herr Lauterbach unterschlägt dies und möchte statt einer notwendigen Neu-Organisation die Bevölkerung mit einer unlauteren „Opt-Out“-Regelung überrumpeln, statt die Deutschen mit einer soliden Lösung für das aktuell schlecht funktionierende Verteilungs- und Kontrollsystem zu überzeugen.

Wer mehr Bürger für die Organspende begeistern will, der sollte sich zuerst um die Ursachen der aktuellen Vertrauenskrise kümmern, statt die Symptome zu behandeln – dieses Prinzip sollte Herr Lauterbach als Mediziner eigentlich verinnerlicht haben.

CARLO SCHMIDT, Stuttgart

Dieser Satz verhallt …

betr.: „Carolin Emcke. ‚Freiheit ist nichts, was man besitzt, sonder etwas, das man tut‘“, taz vom 24. 10. 16

Wir brauchen nicht noch mehr Philosophie. Wir brauchen Aufklärung, neben wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Teilhabe. Psychische Aufklärung, emotionale, unser Intellekt ist gut versorgt. Das Wissen ist da, wir müssen in Handlung kommen.

Wir müssen das psychische Prinzip von Verdrängung und Abspaltung verstehen lernen, wir alle sind auf der Flucht, auf der Flucht vor den Realitäten. Und das scheint ihr auch mit den Gästen ihrer Feier zur Friedenspreisüberreichung gelungen zu sein. Viel Applaus gab es bestimmt, als sie von Verantwortung der „Zivilgesellschaft“ sprachen und damit die „Politik“ entlasteten, obwohl sie eigentlich eine kollektive Zuschreibung ablehnen. Wir wissen zum Beispiel seit zehn Jahren, dass zu wenig Sozialwohnungen gebaut werden; wir wissen hier in Nordrhein-Westfalen, dass zusätzlich 7.000 GrundschullehrerInnen notwendig wären, um guten integrativen Unterricht machen zu können, der kein Kind zurücklässt; es ist bekannt, dass die Durchschnittsrente im Bundesgebiet für Frauen bei 750 Euro liegt und für Männer bei 1.042 Euro … Wenn Erkenntnisse und Fakten in unserer Gesellschaft keine Wirkung mehr auslösen, dann werden sie relativiert. Sie werden zum Gefühl in einer „post-faktischen“ Welt.

Dort bei ihrer Preisverleihung saßen einige Menschen, die Verantwortung dafür tragen, dass die Weichen in dieser Demokratie falsch gestellt sind. Ich habe ihre Kritik daran vermisst.

Solange wir nicht verstehen, dass wir uns alle in irgendwelchen Randgruppen bewegen, (von denen bestimmte gesellschaftlich bedrängt oder ausgegrenzt werden) mit transgenerationalen Traumata belastet sind, unter anderem deshalb nicht in konstruktive Handlung kommen und deshalb gerade nicht prädestiniert sind Ungerechtigkeiten zu benennen und in den Widerstand zu treten, sondern Teil dieser Verdrängungsmechanismen sind und diese auch noch an die nächste Generation weitergeben, solange wird es schwierig mit Veränderung.

Schauen wir uns die Erfolgreichen in der Generation der 50er und 60er an, Leute die Macht, Geld und gesellschaftlichen Zugang haben, Hilflosigkeit blickt uns da an, weil sie nicht bereit sind, wesentliche Ursachen für diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen oder aufzugeben. Sie profitieren davon.

Der Preis wird überreicht für literarisch wunderbare Sprache, für Sätze wie: „Freiheit ist nichts, was man besitzt, sondern etwas, das man tut“. Dieser Satz verhallt, wenn wir das „man“ nicht in ein „ich“ verwandeln können. Nur wer in der Lage ist, (psychische) Freiheit im Inneren zu (er)leben, kann im Außen frei(er) handeln. Und daran fehlt es uns.

Die medica mondiale-Gründerin Monika Hauser sagt: „Geben wir nicht der Versuchung nach, unsere eigenen nicht gelösten Konflikte nach außen zu projizieren. Mit Rassismus und Sexismus werden wir unsere eigenen inneren Zerstörtheiten nicht lösen und stabilisieren können.“

Verdrängung und Abspaltung als notwendige psychische Inszenierung werden eingesetzt zum Schutz vor schmerzhaften traumatischen Erfahrungen. Wenn wir die Ängste davor nicht auflösen, um uns den Schmerzen zu nähern, haben wir keine Chancen auf positive Veränderung – als Individuen und als Gesellschaft. KLAUS-PETER KLAUNER, Brühl

Noch eine Bemerkung

betr.: „Der Charme der Langsamkeit“, taz vom 25. 10. 16

Steuereinnahmen aus Devisengeschäften (auch wenn sie nur im Promillebereich lägen) könnten genutzt werden, um den Mittelstand zu entlasten. Steuern auf Arbeit sind eigentlich grundsätzlich zu hinterfragen, Finanztransaktionssteuern würden aber den Geld„markt“ wieder an die Realwirtschaft koppeln und die Umverteilung von unten nach oben mildern.

NORBERT VOSS, Berlin