Ganz normale Zwischennutzung

Eigentum verpflichtet. Die Zwischennutzungsagentur will Leerstand zu Leibe rücken. Um die Ressource zu erschließen, müssen mitunter Hausbesitzer erzogen werden

Nicht weniger als „eine neue Kultur im Umgang mit Raum“ will die Zwischennutzungsagentur erreichen

Stefanie Raab und Maria M. Richarz gehen mit gutem Beispiel voran. Das Büro ihrer Zwischennutzungsagentur ist in einer ehemaligen Neuköllner Fahrschule untergebracht, die zwei Jahre lang leer stand.

Sollte der Vermieter allerdings wider Erwarten einen regulären Nachmieter auftreiben, müssten Raab und Richarz kurzfristig ausziehen und sich was Neues suchen. Das ist Teil der Spielregeln. Raab und Richarz zahlen im Gegenzug für ihre Flexibilität nur eine geringe, ihrem Status als Start-up angemessene Miete. „Wir haben uns keinen Sonderstatus eingeräumt, weil wir uns damit unglaubwürdig machen würden“, sagt Maria Richarz. Dazu gehört auch, dass sie in Abstimmung mit dem Eigentümer die individuell zu vereinbarende Miete erhöhen werden, sobald sie es sich leisten können.

Nicht weniger als „eine neue Kultur im Umgang mit Raum“ will die Zwischennutzungsagentur, ein Leitprojekt der Lokalen Agenda von Berlin, angesichts eines „Wertverfalls von Immobilie und Standort“ durch zunehmenden Ladenleerstand in vielen Kiezen erreichen.

„Wie gehe ich mit diesem Raum um, wie bewerte ich ihn neu?“, formuliert Stadtplanerin Maria Richarz zwei der Fragen, die sie und Architektin Stefanie Raab sich in ihrer Arbeit stellen und die laut ihrer Prognose in den kommenden Jahren noch an Brisanz gewinnen werden. Ihr Ziel: „Zwischennutzung soll eine ganz normale Nutzungsform werden.“

Nachhaltig soll ihre Arbeit sein. „Wir sind Stadtentwickler, und keine Makler“, stellt Stefanie Raab klar. „Das muss im Artikel unbedingt rauskommen.“ Deswegen konzentrieren sich Raab und Richarz auf einzelne Projekte, zum Beispiel die Wiederbelebung des Reuterquartiers im äußersten Nordosten Neuköllns an der Grenze zu Kreuzberg, wo mehr als 100 Läden leer standen, bevor die Zwischennutzungsagentur mit dem Quartiersmanagement ein Projekt im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ startete. Motto: „Gewerbeleerstand als Ressource – Zwischennutzungsangebote für Kultur und Start-up-Unternehmen“.

Wer nur Geld und Arbeit sparen wolle, sei bei ihnen an der falschen Adresse, betont Stefanie Raab, denn der Ansatz der Zwischennutzungsagentur geht über die Vernetzung von Raum und Nutzern auf Zeit hinaus.

Mindestens ebenso wichtig sei die „Bildungsarbeit“, also bei den Hauseigentümern ein Bewusstsein für ihre eigene Verantwortung herzustellen. „Eigentum verpflichtet“, sagt Maria Richarz. „Das kennen die meisten nur als Spruch.“ Also wollen sie mit ihren Projekten die „corporate social response“ stärken.

Umdenken ist anstrengend. Diese Arbeit will die Zwischennutzungsagentur ihren Klienten aber bewusst nicht abnehmen. Sie erwarten weitestgehend selbstständig erarbeitete Konzepte, bevor sie aktiv werden. „Wir sind dagegen, Leute zu entmündigen, wir sind dafür, Leute zu ermutigen“, sagt Stefanie Raab. Dies sei ihr Alleinstellungsmerkmal, die Zwischennutzungsagentur als „Schnittstelle zwischen Partizipation und Immobilienwirtschaft“.

Keiner hat von Raab und Richarz erwartet, sich des Leerstands in Berlin anzunehmen – außer sie selbst: „Wir arbeiten selbstbeauftragt an der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.“ Warum? „Weil wir zu den Menschen gehören, die nicht einfach alte Konzepte aussitzen, sondern Neues wagen.“

Wer sich als Hauseigentümer oder potenzieller Zwischennutzer angesprochen fühlt, den ermutigen Raab und Richarz trotz aller Abgrenzungsversuche zur Kontaktaufnahme: „Wir haben Lust auf ungewöhnliche Nutzungsideen und Eigentümer, die offen sind für innovatives Immobilienmanagement.“

DAVID DENK