: Wer was werden will, muss schweigen
Am Sonntag entscheidet sich nicht nur für Angela Merkel und Gerhard Schröder der weitere Karriereweg. Schon jetzt blühen die Spekulationen über die Ministerriege: Wird Frank-Walter Steinmeier Forschungsminister? Wird Hermann Scheer rot-grüne Erfolge im Umweltministerium verteidigen?
BERLIN taz ■ Und wieder macht ein neues Gerücht die Runde. Frank-Walter Steinmeier, bisher graue Eminenz im Kanzleramt und engster Vertrauter Gerhard Schröders, soll Minister für Innovation und Forschung werden. Angeblich. Hat die Rheinische Post gemeldet. Anruf bei einem, der Steinmeier gut kennt: „Wissen Sie, ob das stimmt?“ „Nein, keine Ahnung, das machen die vier jetzt alles unter sich aus.“
Ähnliche Antworten bei der Union. Könnte Jörg Schönbohm Verteidigungsminister werden? Tja, das wäre „nahe liegend“, hört man. Schönbohm war schließlich General, hat Erfahrung mit großen Koalitionen und auf seinen momentanen Job als Brandenburger Innenminister ganz offenkundig keine Lust mehr. Jedenfalls schloss Schönbohm gestern nicht aus, einem Ruf zu folgen. Aber hat er die Ostdeutschen nicht zu sehr vergrätzt mit seinen Theorien zu Kindermorden wegen Proletarisierung? Hat Schönbohm also eine Chance? Der eben noch gesprächige Parteifreund greift zur Standardantwort: „Das alles müssen jetzt erst einmal die vier da klären.“ „Das alles“ ist das neue Regierungspersonal. „Die vier da“ sind Merkelschrödermüntestoiber, die bis Montag alles untereinander aufteilen: das Kanzleramt und alle Posten von Belang. Bis sie so weit sind, haben sich die vier ein Schweigegelübde auferlegt. Ob sie es einhalten, ist der erste Test für die Funktionsfähigkeit der kommenden Koalition.
Alle anderen Politiker und die Journalisten haben an diesem Wochenende eines gemeinsam: Sie müssen sich gedulden. Das fällt beiden Berufsgruppen sehr schwer. Deshalb plappern alle weiter. Fest steht nur: Die meisten wissen gar nichts. Die, die etwas wissen, dürfen noch nichts sagen. Und die, die etwas werden wollen, sollten besser schweigen.
Sich so offensichtlich vorzudrängen, wie es Schönbohm tut, gilt als eher chancenmindernd. Dass er Merkel oft geärgert hat, dagegen nicht: Feinde zu integrieren ist bei der Postenverteilung mindestens so wichtig, wie Freunde zu belohnen. Die Cleversten versuchen, im Gespräch zu bleiben, ohne eigene Ambitionen zu verraten. Diese Kunst beherrscht Wolfgang Schäuble. Seit der Wahl ist der CDU-Fraktionsvize extrem aktiv, er gibt jeden Tag ein Interview. Man hat von ihm sehr viel gehört: Über Jamaika. Über den Arbeitsmarkt. Über die Außenpolitik. Aber nichts über seinen nächsten Job. Damit hält sich Schäuble alle Möglichkeiten offen: Für ein Ministeramt oder den Fraktionsvorsitz. Auf jeden Fall könnte der altgediente Parteisoldat Bundestagspräsident werden, wenn der Posten an die Union geht. Und wenn er will. Wenn nicht, steht der Kulturpolitiker Norbert Lammert schon bereit. Dessen Wirken ist zwar bisher kaum aufgefallen, aber als Chef der nordrhein-westfälischen Landesgruppe der CDU im Bundestag verfügt er über starke Truppen. Die könnten ihn auch ins Amt des Kulturministers hieven. Lammert ist klug: Bisher schweigt er zu seinen Wünschen.
Das tut auch Hermann Scheer – für viele in der SPD die Idealbesetzung für das Umweltministerium. Der profilierte Energiepolitiker könnte wie kein anderer die grüne Opposition ausbremsen. Und wenn schon Gerhard Schröder gegen Mohammed al-Baradei verloren hat: Mit Scheer zöge immerhin ein alternativer Nobelpreisträger ins Kabinett ein. Vielleicht. LUKAS WALLRAFF