: „Ich will immer Verletzlichkeit installieren“
LEBENDIGWERDUNG Im Kino spielt sie gerade eine kaputte Frau: einsam, Alkoholikerin. Eine herausfordernde Rolle selbst für Corinna Harfouch, derzeit führender Star des deutschen Films. Ein Gespräch über professionelles Grundvertrauen und gleich noch das Erbe der DDR
■ Ihre Filme sind kaum zu zählen. Kleine Auswahl: „Der Tangospieler“ (1990), „Solo für Klarinette“ (1998), „Bibi Blocksberg“ (2002), „Der Untergang“ (2004), „Das Parfum“ (2006), „Whisky mit Wodka“ (2009).
■ Die Eva Blond in der gleichnamigen Fernsehserie spielte sie von 2002 bis 2006.
■ Als Irina in der „Möwe“ ist sie noch am Deutschen Theater Berlin zu sehen. Großen Erfolg hatte sie auf dem Theater 2005 in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“.
■ Bekannt wurde sie noch zu DDR-Zeiten als Lady Macbeth in der Regie von Heiner Müller an der Berliner Volksbühne und durch die Titelrolle des Films „Die Schauspielerin“, die ihr erste Preise einbrachte: noch 1989 den Kunstpreis des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund der DDR).
■ Geboren 1954 in Suhl. Gelernt hat sie ursprünglich Krankenschwester. Bevor sie von 1978 bis 1981 in Ostberlin Schauspiel studierte, absolvierte sie ein Studium als Textilingenieurin in Dresden.
INTERVIEW BERT REBHANDL
Eine Dachwohnung in Prenzlauer Berg, unweit des Kollwitzplatzes. Noch sind die Regale an den Wänden mit Büchern gefüllt, auf dem großen Tisch liegen Zeitungen und Papiere, alles wirkt bewohnt und belebt, es gibt grünen Tee an einem verregneten Tag in Berlin. Corinna Harfouch gibt das Interview zu ihrem aktuellen Film „This is Love“ an einem Ort, den sie schon bald verlassen wird. Sie wird aufs Land ziehen.
Aber darum soll es jetzt nicht gehen, denn es gibt Wichtigeres zu besprechen. Eine große Rolle für eine der ersten Damen des deutschen Films (und des deutschen Theaters). In „This is Love“ spielt sie Maggie, die eines Tages von der Arbeit nach Hause kommt und feststellen muss, dass ihr Mann sie verlassen hat. Sie fasst danach nicht mehr so richtig Tritt. Es ist eine Rolle, wie man sie wohl nur spielt, wenn man große Stücke hält auf den Menschen, der sie geschrieben hat. Der Regisseur Matthias Glasner spielt deswegen in dem Gespräch eine wichtige Rolle, aber es ergibt sich auch noch Gelegenheit, über das filmische Erbe der DDR zu sprechen, zu dem Corinna Harfouch beigetragen hat, bevor sie in der wiedervereinigten BRD ein Star wurde, für eine Weile die Lebensgefährtin von Bernd Eichinger, Magda Goebbels in „Der Untergang“, Kommissarin Eva Blond in der gleichnamigen Krimiserie.
taz: Frau Harfouch, in Ihrem neuen Film „This is Love“ spielen Sie eine Frau bei der Berliner Polizei, die mit dem Leben eigentlich fertig ist. Es ist eine intensive Rolle, die starkes persönliches Engagement erfordert. Was hat Sie bewogen, sich darauf einzulassen?
Corinna Harfouch: Matthias Glasner und ich, wir kennen einander gut, sind gut befreundet, und insofern war dieses Projekt so etwas wie eine Fortsetzung von vielen Gesprächen, die wir schon geführt haben. Das Drehbuch war dort überraschend, wo es um die Form des Films geht. Verschiedene zeitliche Ebenen treffen aufeinander. In der Gegenwart verhört eine Frau einen Mann, beide bringen eine Geschichte mit, die aber erst erschlossen werden muss. Der Film splittert sich dann auf in verschiedene Vorgeschichten, die beiden Hauptfiguren bekommen jeweils eine eigene Welt, und die Verschränkung dieser verschiedenen Ebenen finde ich formal sehr spannend.
Ein stärkeres als nur professionelles Grundvertrauen gegenüber dem Regisseur erlaubt es ihnen, sich in der Rolle der Maggie richtiggehend zu exponieren, sich verletzlich zu machen?
Das gehört für mich prinzipiell zum Schauspiel. Alle Rollen, die das nicht haben, in denen versuche ich das zu finden oder zu installieren.
Wie lange kennen Sie Matthias Glasner schon?
Wir haben zum ersten Mal 1996 bei „Sexy Sady“ zusammengearbeitet, da war das alles noch wesentlich unschuldiger, dieser Film ist ja fast eine Komödie. Dass Matthias sich in die Richtung entwickeln würde, die jetzt erkennbar ist, hat eine innere Konsequenz. Denn er ist außergewöhnlich ernsthaft in seiner Reifung, in seinem Bemühen, seinen Seelenzustand auszudrücken, das Unsagbare nach außen zu bringen – und das ist ja die vornehmste Aufgabe eines Künstlers.
Wer ist diese Maggie in „This is Love“ für Sie?
Über 20 Jahre Mauerfall
Eine Frau, die eben noch jung gewesen ist und die in der Mitte ihres Lebens, in einem Zustand scheinbarer Zufriedenheit, von etwas getroffen wird. Bis dahin hat sie geglaubt, dass es das ist: Leben, Mann, Tochter, gelegentlich ein kleiner Seitensprung. Nun widerfährt ihr etwas, ihr ganzes Leben wird dadurch existenzialistischer. Sie wird mit einem Unglück konfrontiert, das trennt sie von ihrem bisherigen Dasein ab. Ihre Vereinsamung ist offensichtlich, eine scheinbare Gleichgültigkeit, von der sie erfasst wird. Das ist ja auch so etwas wie ein instinktiver Schutz der Seele, die nicht zulässt, dass dich der Schmerz erreicht. In dem Moment, in dem sie auf Chris trifft, spürt sie etwas in sich selbst lebendig werden. Sie entwickelt Interesse für jemand anderen, sie versucht etwas in ihm und in sich zu erkennen. Ich würde das eine seltsame Lebendigwerdung nennen.
Maggie wird in das Unglück gestürzt, Chris hingegen trägt es in sich als einen Trieb, als ein Begehren, das keine Erfüllung finden darf.
Ja, das ist wie ein zu tragendes Kreuz bei Chris, ein vorgezeichneter Leidensweg. Seine Liebe ist verdammt, sie hält sich in der Geborgenheit dieser Verdammung. Ich empfinde das als einen unglaublichen Kampf. Es geht in dem Film ja nicht darum, Pädophilie oder andere Grässlichkeiten zu verteidigen. Es wird überhaupt keine Gesamthaltung zu diesem Phänomen entwickelt, sondern eine konkrete Geschichte erzählt, die absolut erschütternd ist.
Gibt es bei so einem Film noch Freiräume für die Darsteller, etwas einzubringen, die Figuren zu verändern, das Gerüst der Geschichte ein wenig umzubauen?
Matthias ist schon sehr stark der Konstrukteur seiner Geschichten, wobei ich seinen Konstruktionen absolut vertraue. Ich mag es, wie er mit dem Material umgeht, für mich wird es gerade dort spannend, wo mir etwas nicht sofort einleuchtet. Was ich sehr mag, ist eine bestimmte Vorstellung davon, wie Maggie trinkt.
Inwiefern?
Alkohol ist für sie ein guter Freund. Die Welt wird bunt, wenn sie trinkt. Über das Zerstörerische der Alkoholsucht müssen wir nicht reden, aber darum geht es in „This is Love“ nicht. Maggie mag es, in diese wirklich extrem fröhliche Unverbindlichkeit zu gleiten. Sie wird nicht melancholisch oder sentimental, sondern schafft es tatsächlich, sich schon mit ein paar Schlucken aus ihrer alltäglichen Welt rauszukatapultieren.
Sie singt dann in einer Kneipe spätnachts mit anderen Leuten grölend „God Help Me Please“, zu einem Song aus dem Radio, von wem ist der?
Das ist Matthias Glasner selbst, das hat er geschrieben, das singt er persönlich.
Sie gelten inzwischen als eine der wichtigsten deutschen Schauspielerinnen, Ihre Karriere hat nach der Wiedervereinigung für viele Menschen erst so richtig begonnen. Kürzlich erst wurde der 20. Jahrestag des Falles der Mauer festlich begangen. Ist die DDR für Sie noch ein Thema?
Ich sehe ja kein Fernsehen, ich höre nur Radio, vor allem im Auto, eigentlich immer Deutschlandradio Kultur. Da habe ich ein paar sehr interessante Diskussionen gehört. Ich finde insgesamt, dass wir zu verklemmt mit dieser Geschichte umgehen, das ist alles so todernst und immer noch ein Minenfeld. Wir müssen uns erst an den Gedanken gewöhnen, dass es nicht um den Gral der reinen Wahrheit geht, sondern um unterschiedliche Perspektiven auf eine gemeinsame Geschichte. Wenn dann ein Jahrestag kommt, unternimmt das ganze öffentliche Leben eine Riesenanstrengung, und vieles erweist sich davon als ganz und gar überflüssig. Ich suche und finde keine abschließende Bewertung.
Wenn man sich die deutsche Filmpolitik so ansieht, könnte man durchaus den Eindruck haben, es habe nie zwei deutsche Staaten gegeben. Denken Sie, dass das Erbe des Kinos der DDR ausreichend aufgenommen wurde?
Es gibt gar nichts aus der DDR, was richtig aufgenommen wurde, und es wird auch immer suspekter, etwas davon aufzunehmen. Es ist alles belastet, denn es waren ja „Systemfilme“. Es gibt aber auch tatsächlich viele unglaublich schlechte Filme und allenfalls ein paar gute. Und ist nicht aus dem westdeutschen Kino der Fünfzigerjahre auch das meiste zu Recht in Vergessenheit geraten?
Ja und nein, denn in den Nachmittagsprogrammen des Fernsehens sind viele dieser Filme ganz selbstverständlich präsent. Die Karriere eines Helmut Käutner wird auf jeden Fall unter anderen Kriterien gesehen als die eines Konrad Wolf. Da wir das hier aber nicht abschließend klären können, könnten wir das mit ein paar konkreten Hinweisen vorläufig bewenden lassen. Wollen Sie ein paar Filme aus der DDR nennen, die Sie zum Sehen oder Wiedersehen empfehlen würden?
Das ist natürlich jetzt schwer, aber ich will es versuchen. „Jakob der Lügner“, der ist aber ohnehin nicht vergessen. „Spur der Steine“, der ist einfach witzig. Und vielleicht noch einer, der wohl nicht ganz so bekannt ist: „Dein unbekannter Bruder“, ein antifaschistischer Film von Ulrich Weiß, 1981. Eine Geschichte aus dem Widerstand gegen die Nazis. Der ist auch filmisch sehr interessant. Und dann vielleicht noch „Treffen in Travers“ – aber nein, das ist jetzt zu persönlich …
Ich kenne den Film nicht, was hat es damit auf sich?
„Treffen in Travers“ erzählt von deutschen Menschen im revolutionären Paris 1793: Georg Forster, seine Frau und deren Liebhaber, ein Liebesdrama vor politischem Hintergrund. Ich habe mitgespielt, Michael Gwisdek hat Regie geführt und die Hauptrolle gespielt. Es ist ein guter Film, entstanden und aufgeführt im letzten Jahr vor der Wende, aber man braucht die DDR im Hintergrund, um ihn richtig zu verstehen.
Vielen Dank.