: Vom Tod leben
TOTENSONNTAG Die Toten kommen immer schneller und billiger unter die Erde. Die Bestatter trauern
■ Die Geschichte: Bereits in der Antike pflegten Römer und Griechen ihre Toten zu verbrennen. Erst mit der Ausbreitung des Christentums wurde die Feuerbestattung verboten, seit dem 19. Jahrhundert ist sie wieder erlaubt.
■ Die Gegenwart: 800.000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschland, 360.000 von ihnen werden eingeäschert, das sind 45 Prozent. Im katholischen Süden ist die Quote am geringsten, in Nord- und Ostdeutschland sind es manchenorts über 90 Prozent.
■ Die Alternativen: Es gibt See-, Erd- und Luftbestattungen. Es ist zum Beispiel möglich, von einem Helikopter aus die Asche eines Angehörigen über der Nordsee zu verstreuen. Dafür gibt es biologisch abbaubare Urnen, die sich im Wasser auflösen.
VON SASCHA CHAIMOWICZ
Wenn alles vorbei ist, das Leben, der Tod und die Verbrennung, bekommt Ulrike Bönsel ihr Geld. Es ist der Moment, an dem sie spätestens merkt, dass das eigentliche Geschäft mit dem Tod anderswo stattfindet, nur nicht bei ihr.
Die 38-Jährige ist Bestatterin in der Nähe des Augsburger Zentralklinikums. Kein schlechter Ort, um vom Tod zu leben. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und blättert in einem grünen Schnellhefter, der ein Leben abwickelt. Das Leben einer Dame, die zu Asche wurde. Bönsel musste in den letzten drei Tagen Versicherungen kündigen, Vermieter anrufen und der GEZ Briefe schreiben, um ihr mitzuteilen, dass ihr Kunde ab jetzt nicht mehr fernsieht. Ein Mitarbeiter Bönsels hat sich um die Aufgaben gekümmert, die man lieber mit Latexhandschuhen anpackt: Er hat die Verstorbene aus ihrer Wohnung geholt, sie mit Schwämmen gewaschen, ihr die Nägel geschnitten und Watte in Körperöffnungen gestopft, um zu verhindern, dass die Tote ausläuft. Ob sich der Fall finanziell lohnt, entscheidet die Wahl des Sargs, und die hängt von der Art der Bestattung ab. „Menschen, die ihre Angehörigen einäschern lassen, suchen sich billigere Särge aus“, sagt Bönsel. Für eine „Kennedy-Truhe“ bezahlen Kunden bis zu 5.000 Euro, für einen Feuersarg aus billigem Holz ein paar hundert Euro.
„Das Problem ist, dass der Bestatter eigentlich nur am Sarg verdient, der Rest ist viel zu knapp kalkuliert“, erklärt Bönsel. Weil die Einäscherungsquoten seit Jahren steigen, sinken Bönsels Einnahmen. Von den etwa 800.000 Toten im Jahr werden rund 45 Prozent eingeäschert. In manchen Regionen im Osten Deutschlands sind es 90 Prozent. Bönsel schätzt, dass sie die Hälfte der Sterbefälle, die sie betreut, zum Verbrennen schickt. Zurück kommen eine Urne voll Asche und die Rechnung des jeweiligen Krematoriums über durchschnittlich 500 Euro, an der Bönsel nichts verdient. Sie gibt die Rechnung einfach weiter an die Angehörigen und bleibt zurück mit einem Bruchteil dessen, was sie früher bekommen hat. Wer etwas über die Zukunft der Bestattungskultur lernen will, sollte sich in einem Krematorium umsehen, sagt Bönsel.
Zum Beispiel in Traunstein. Hier steht eines von etwa 150 Krematorien in Deutschland. Es handelt sich um ein Unternehmen, das den Tod in technische Arbeitsabläufe aufteilt. Im letzten Jahr wurden in Traunstein mehr als 3.000 Leichen verbrannt. Das Ergebnis: über 1 Million Euro Umsatz.
In einem Kühlraum, in dem nebeneinander 26 Särge auf Rollwägen stehen, schaltet Kai-Uwe Kresse das Licht an. Der gelernte Schlosser sucht sich den Sarg mit der Identifikationsnummer 21967 aus. Auf einem weißen Etikett auf dem Sargdeckel steht: „Feuer ohne Feier“. Ein Etikett, das für einen billigen Sarg steht, eine schnelle Abwicklung und dafür, dass es für Bönsel kaum Geld gibt.
Der Sarg auf dem Rollwagen holpert die 30 Meter vom Kühlraum zur Ofentür über die grauen Fliesen wie ein Einkaufswagen über einen Parkplatz. Kresse legt einen Schamottstein mit der Einäscherungsnummer der Leiche auf den Sarg. Bei über 1.000 Grad Celsius wird nur er im Feuer nicht verglühen. Der Stein wird später die einzige Möglichkeit sein, die Asche einem Menschen zuzuordnen. Kresse lädt den Sarg auf Schienen ab, die ihn auf Knopfdruck in den Ofen fahren werden. Davor muss Kresse das Sargetikett mit einem Supermarktscanner prüfen, um festzustellen, ob der richtige „Sterbefall“ zur richtigen Zeit verbrannt wird. Infrarot – piep –, in 60 Sekunden wird Nr. 21967 Feuer fangen. Die Ofentür öffnet sich, das Feuer scheint an den Innenwänden entlangzukriechen. Kresse drückt den schwarzen Knopf. Die Schienen setzen sich elektrisch surrend in Bewegung. Im Ofen dauert es nur zwei Sekunden, bis das Holz brennend den Weg zur Leiche freigibt – Zeitsparen bringt Geld. In vier ruckartigen Schüben schließt die Ofentür wieder. 60 Minuten lang glüht Nr. 21967 in der Hauptbrennkammer bei 1.120 Grad Celsius. Nach der Brennstunde kehrt ein automatischer Schieber das, was von der Dame noch da ist, in eine kleine Wanne der Ausbrennkammer.
Kresse hat unterdessen einen neuen Sarg auf die Schienen gestellt – die Hauptbrennkammer ist schließlich frei. Während sich Bönsel am Tag mit zwei, vielleicht drei Fällen beschäftigt, wird in Traunstein im Akkord kremiert. Folgt man Bönsels Argumentation, wird der Tod in Zukunft ein hektisches Geschäft.
ULRIKE BÖNSEL, BESTATTERIN
Ein Computer zeigt eine Minute Restzeit für die Ausbrennkammer an, Kresse muss die Wanne aus dem Ofen holen. Die Reste der Leiche mit der Nummer 21967 liegen nach zwei Stunden glühend in einer schwarzen Wanne. Ein lila schimmernder Oberschenkelknochen und Teile der Schädeldecke sind noch zu erkennen. Gelblich-graue Sargnägel liegen am Boden der Wanne. Der Schamottstein ruht sanft auf den dampfenden Aschehügeln.
Bevor Kresse die verbrannten Überreste der Leiche in die sogenannte Aschekapsel füllt, zerstampft er die Leichenreste mit einer Art Fleischhammer. Vielleicht ist Kremieren das, was passiert, wenn man der Bestattung die Emotion nimmt. Was übrig bleibt, ist Wirtschaft. Aus einem Trichter läuft Nr. 21967 fein wie weiß-grauer Sand in eine kaffeedosenförmige Kapsel. „Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen“, sagt Kresse. Er wäscht sich die Hände mit Wasser, betritt den Kühlraum und sucht den Sarg mit der Nummer 31548. Dienstschluss ist heute um drei Uhr morgens. Bis dahin wird er noch elf Leichen verbrennen.
Bestatterin Bönsel blickt auf ihren Schreibtisch: „Für mich sieht die Zukunft nicht gut aus“, sagt sie. Im grünen Schnellhefter, der vor ihr liegt, steht das Wort „Feuer“ geschrieben.