: Angst macht keinen Lärm
DROGENKRIEG Im mexikanischen Monterrey ist die Musikszene zum Erliegen gekommen. Die Noise-Punk-Band Los Llamarada kann ein Lied davon singen
VON FREDERIK CASELITZ
Monterrey im Norden Mexikos war einst eine boomende Industriestadt, mit einer einzigartigen Kultur. Kolumbianische und US-amerikanische Einflüsse trafen hier auf mexikanische Lebensweise. Eigene Musikstile wurden erfunden. Die renommierteste private Universität des Landes hat in Monterrey ihren Ursprung.
Doch der Drogenkrieg hat seine Spuren in sämtlichen Schichten der Stadt hinterlassen. Das Nachtleben ist fast komplett zum Erliegen gekommen. Und ohne es zu wollen, liefert die Noise-Punk-Band Los Llamarada den Soundtrack zum Drogenkrieg. Adrián Luiz Diaz, der Sänger und Gitarrist von Los Llamarada, grinst, wenn er von seinen Erfahrungen als Musiker erzählt. Es wirkt fast wie ein Schutz, dass er sein Projekt selbst nicht so richtig ernst nimmt. „Wir waren immer gut dafür, die Leute mit unserem Krach aus dem Saal zu vertreiben“, erklärt er. „Häufig haben die Zuhörer nicht richtig verstanden, wie unsere Musik funktioniert, wir selber haben diese Missverständnisse auch nicht gerade aufgeklärt.“
Die Songs von Los Llamarada folgen keinen klaren Songstrukturen. Es geht ihnen darum, Krach zu erzeugen, dissonanten Lärm. Ein enorm kaputter Punkrock, wie er schon nicht mehr möglich schien. „Unsere Musik lebt von dem, was wir gerade empfinden, wenn wir spielen.“ Aus diesem spontanen Sturm-und-Drang-Gemetzel schält sich eine seltsam bedrückende Stimmung. „In Mexiko wurden wir anfangs gemieden, manchmal haben die Zuhörer auch gefordert, dass wir Songs von den Schnulzenrockern Cranberries covern.“ Was Los Llamarada natürlich verweigerten. Inzwischen werden sie doch vereinnahmt: Ihr Album „Take to the Sky“ wurde in ein Buch über die 100 einflussreichsten mexikanischen Rockalben aufgenommen.
Tragischerweise können Los Llamarada in ihrer Heimatstadt momentan gar nicht mehr auftreten. In Monterrey ist das inzwischen zu gefährlich.
Bevor der Drogenkrieg eskalierte, bestand eine große Musikszene in Monterrey, es gab eine Straße voller Nachtclubs und Konzerthallen. Die HipHop-Crew Control Machete betrieb hier ein Studio, und viele kleinere Bands machten ihre ersten Schritte in Monterrey. „Es war ein guter Ort für Bands, um sich auszuprobieren. In Mexiko-Stadt gab es viel mehr Musik. Aber sie wird dann auch sofort kommerziell ausgeschlachtet. Monterrey war immer etwas freier, wir konnten uns in Ruhe entwickeln“, erklärt der Sänger. Damals mischte die Mafia zwar schon kräftig mit, doch es gab stille Abkommen mit der Politik. „Da ein Kartell ungestört die Nachtszene kontrolliert hat, gab es früher keine Zwischenfälle.“
Mit dem Kampf gegen die Drogen eskalierte auch die Gewalt. „Nun streiten sich Kartelle darum, wer hier Geschäfte machen darf.“ Ein Brandanschlag auf das Casino Royale hat das im August 2011 traurig bewiesen. 52 Menschen mussten sterben, weil sich das Kasino geweigert hatte Schutzgeld zu zahlen.
Nicht erst seither leben die Menschen in Monterrey in ständiger Furcht. „Eine Zeit lang fanden noch Privatpartys statt, auf denen Musik gespielt wurde. Doch mittlerweile haben die Einwohner selbst bei solchen Anlässen Angst, dass jemand zufällig die Musik hört und denkt, es gäbe dort was zu holen.“
Den Bandmitgliedern von Los Llamarada ist bis jetzt noch nichts passiert. „Man hört immer wieder von Freunden, die ausgeraubt wurden oder Zeuge einer Schießerei gewesen sind. Ich kann nicht richtig beurteilen, ob sich die Situation wirklich so drastisch verschlimmert hat, aber das Gefühl der Angst bei den Menschen ist definitiv größer geworden.“
Los Llamarada fielen ohnehin aus dem Rahmen der Musikszene in Monterrey. Ihnen geht es nicht um besonders eingängige oder sauber gespielte Musik, sondern einzig darum, Lärm zu erzeugen. Die Idee zur Bandgründung speist sich aus der Idee des Punk. Noch bevor man überhaupt Instrumente hatte, geschweige denn diese spielen konnte, beschlossen Los Llamarada, loszulegen. „Wir werden oft mit The Dead C aus Neuseeland oder Sonic Youth verglichen. The Dead C kannten wir aber vorher gar nicht. Das ist reiner Zufall.“
Ihre größten Erfolge feierten Los Llamarada ironischerweise im Ausland. Sie tourten durch die USA und Europa. Belgien war ihre beste Erfahrung. „Ich weiß selber nicht, warum, aber in Belgien war die Stimmung auf den Konzerten enorm. Die Leute haben die Dringlichkeit verstanden.“ Das Ziel der Gruppe war nie, mit der Musik möglichst große Erfolge zu erzielen. Adrián Ruiz Diaz und Drummer Dany Hell arbeiten als Psychologen. Von der Musik allein wollten sie ohnehin nicht leben. „Mit einem Popsong Erfolg zu haben, fanden wir nicht zielführend.“ Als Psychologen haben sie nun mehr Arbeit als je zuvor. „Der Drogenkrieg hinterlässt viele Menschen traumatisiert. Damit beschäftigen wir uns jeden Tag.“ Ihre Musik war dabei gar nicht mal als Therapie gedacht. Doch wirkt sie unbeabsichtigt so.
Flucht vor Beklemmung
Zurzeit befindet sich Mexiko in der Diskussion über den Wahlbetrug des neuen Präsidenten Pena Nieto. Doch für Los Llamarada ist das eher nebensächlich. „Ich glaube, durch die Wahlen wurde in erster Linie von den Problemen des Drogenkrieges abgelenkt. Da wird nur noch über Kandidaten gesprochen und nicht mehr über die Probleme in den Städten, wo es wirklich gefährlich ist.“ Die Situation im Norden von Mexiko ist durch den Streit über die Wahlen in den Hintergrund geraten.
Als Kulturzentrum gilt Monterrey nun schon seit einiger Zeit nicht mehr. Auch die Band Los Llamarada hat den Drogenkrieg nicht unbeschadet überlebt, zwei der Bandmitglieder sind ins weiter südlich gelegene Mexiko-Stadt umgezogen, um der Beklemmung zu entfliehen.
Adrián und Daniel sind geblieben. Sie fangen mit der Gruppe Eel Terror neu an. Zumindest der Name passt.
■ Los Llamarada: „Gone Gone Cold“ oder „Take to the Sky“ sind erhältlich bei S.S. Records/X-Mist