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Archiv-Artikel

Heimisch, integriert, na und?

Ob Flüchtlinge „integriert“ sind, spielt für die Behörden in NRW keine Rolle: Sobald das Gesetz es zulässt, wird abgeschoben. Auch die neu geschaffene Härtefallkommission hilft häufig nicht

VON SUSANNE GANNOTT

Kuvinthan Yogarathnam kam mit acht Jahren nach Deutschland. Seine Eltern hat er im Bürgerkrieg in Sri Lanka verloren. Die Essener Caritas nahm sich seiner an, er kam ins Waisenhaus, ging zur Schule, wurde begeisterter Fußballspieler beim SC Steele 03. Die mittlere Reife hat er in der Tasche, geht seit dem Sommer auf die Fachoberschule. Jetzt soll er bis zum 14. Oktober das Land verlassen – weil er volljährig geworden ist.

Kuvi, wie ihn seine Freunde nennen, ist kein Einzelfall. Immer wieder werden Flüchtlinge abgeschoben, obwohl sie so „integriert“ sind, wie es Politiker fordern. Sie sprechen gut oder sehr gut Deutsch, gehen zur Schule oder arbeiten, engagieren sich in Vereinen, Politik oder Gemeinde. So auch Met Iberdemaj aus Herne: Der 21-jährige gebürtige Kosovare muss bis 12. Oktober „freiwillig“ das Land verlassen. Selbst die NRW-Härtefall-Kommission hat es vergangene Woche abgelehnt, eine Empfehlung für ihn auszusprechen. Obwohl er seit 11 Jahren in Deutschland ist, seine kranke Mutter in Herne lebt, er hier sogar studieren könnte – und sich dutzende Freunde und Kollegen vom Herner Jugendparlament für ihn einsetzen (taz berichtete).

Auch Kuvis Freunde hat seine drohende Abschiebung aufgerüttelt. „Alle Leute, die ihn kennen, sagen ‚Oh nein! Warum gerade er?‘“, erzählt Kuvis Fußballtrainer Peter Schäfer. Er und die Kickerfreunde vom SC Steele haben vor zehn Tagen eine Unterschriftenaktion für Kuvi gestartet. 2.000 Unterstützer haben sie schon zusammen. „Und wir haben ihm binnen zwei Tagen eine Lehrstelle besorgt, wo er sofort anfangen kann“, sagt Schäfer. Auch sein Lehrer hat ihm bescheinigt, dass er ein guter Schüler ist und bleiben soll, um die Schule zu beenden. Kuvi selbst kann sich auch nicht vorstellen, was aus ihm werden soll in Sri Lanka. „Ich habe immer wie ein Deutscher gelebt. Mit Sri Lanka verbindet mich nichts, ich kann nicht mal die Sprache.“

Für die Behörden spielt all das keine Rolle. Die Stadt beruft sich auf die Buchstaben des Gesetzes. „Wir haben leider keinen rechtlichen Spielraum, Herrn Yogarathnam das Hierbleiben zu ermöglichen“, so Pressesprecher Detlef Feige. Das Asylverfahren sei längst abgeschlossen, als letzte Instanz habe nur noch die Härtefall-Kommission helfen können. Doch die hat es auch bei Kuvi abgelehnt, der Ausländerbehörde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu empfehlen.

Den negativen Bescheid der Kommission hat jetzt auch eine Familie aus Bocholt bekommen. Seit 14 Jahren leben die Kosovaren hier, die Eltern arbeiten, ebenso die ältesten beiden Kinder, die zwei Jüngsten gehen noch zur Schule, erzählt ein Freund der Familie. Im Stadtviertel ist die Familie offensichtlich beliebt: Der Pfarrer, der örtliche Fußballclub, Nachbarn und Bekannte haben dem Antrag an die Härtefall-Kommission Unterstützerbriefe beigelegt, die der taz vorliegen. Genützt hat das alles nichts: Bis 27. Oktober muss die Familie das Land verlassen.

Dass es in solchen Fällen tatsächlich keinen gesetzlichen Spielraum gibt, darf bezweifelt werden. Laut Flüchtlingsrat NRW können Anwälte von Flüchtlingen mit Behörden ein „Stillhalteabkommen“ vereinbaren. Auch der Detmolder Flüchtlingsberater Frank Gockel hält die Einstellung der Ausländerämter gegenüber Flüchtlingen für entscheidend. „Wenn man wohlwollend ist, dürfen sie bleiben.“

Das sind die Ämter allerdings immer seltener, hat Gockel beobachtet. Er vermutet, dass die harte Linie auf den Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen im Mai zurückzuführen ist. „Die Ausländerbehörden haben jetzt wohl das Gefühl, dass sie dabei politisch gedeckt werden.“