Berliner Szenen: Kleiner Unterschied
Erstbeste Freunde
Fup sagt zu Vicco, seinem besten Freund: „Ich hab schon ganz viele Bücher gelesen.“ Ich will mich nicht einmischen, aber die Wahrheit sieht natürlich anders aus und hätte ungefähr so gelautet: „Ich hab schon ganz viele Bücher vorgelesen bekommen.“ Und zwar von mir. Aber wahrscheinlich hält Fup diesen kleinen Unterschied für unerheblich. Er sagt zu Vicco: „Du nicht?“ – „Nicht so viele“, sagt Vicco. Auch gelogen, aber immerhin merkt man an der zögerlichen und etwas vagen Antwort, dass es ihm irgendwie peinlich ist.
„Aber bald, oder? Wie lange brauchst du noch?“, bohrt Fup weiter. „Na ja, zwei Monate. Oder drei. Oder eine Woche.“ Zufrieden mampfen beide ihr Marmeladenbrot. Das wäre also geklärt. In zwei Monaten oder einer Woche fragt sowieso niemand mehr danach. Dann möchte Vicco wissen: „Wer ist dein bester Freund?“ Fup sagt: „Mein bester Freund ist Lennox.“ Oje, denke ich. Auch Fup überlegt, wie er aus dieser Nummer wieder rauskommt. Er sagt: „Aber mein erstbester Freund bist du. Und wer ist dein bester Freund?“ Vicco sagt: „Weiß nicht.“ – „Dein allerbester Freund?“ – „Weiß nicht.“ – „Und dein erstbester Freund?“ Vicco überlegt. Dann sagt er: „Ich.“
Da war also nichts mehr hinzubiegen, was der erstbesten Freundschaft jedoch keinen Abbruch tut. Sie gehen hinaus und üben den Zidane-Trick, den Übersteiger und den Pogba-Trick mit dem schlenkernden Fuß, mit dem Mustafi gefoppt wurde, bevor Pogba die Flanke zum entscheidenden 2:0 gab. Viccos Vater simst: Vicco soll nach Hause. Fup sagt fürsorglich: „Wenn dich jemand anspricht und dir Gummibärchen geben will, musst du schreien und weglaufen.“ Vicco guckt verständnislos. „Du darfst nicht mitgehen, sonst sperrt er dich in einen dunklen Keller.“ Vicco sagt: „Mir stößt nichts zu.“ Dann geht er vor sich hin träumend seinen Weg.
Klaus Bittermann
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