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Archiv-Artikel

„Nein“ statt Boykott im Irak

Bei dem Referendum über die Verfassung mobilisieren die Sunniten gegen den Entwurf

VON KARIM EL-GAWHARY

Die neue irakische Verfassung kommt per Militärhubschrauber angeflogen. Selbst in den entlegensten Dörfern werden dieser Tage die Paletten mit den Exemplaren des Verfassungsentwurfs von irakischen, amerikanischen, britischen und australischen Soldaten angeliefert. Am 15. Oktober sind die Iraker aufgerufen, über den neuen Verfassungsentwurf in einem Referendum abzustimmen. Bis dahin soll jeder irakische Haushalt eines der 5 Millionen von der UNO gedruckten Exemplare zur Ansicht besitzen.

Nicht jeder reagierte enthusiastisch. „Als wir den Entwurf in die südirakischen Provinzhauptstadt Samawah gebracht haben, wollte die lokale Verwaltung wissen, wann wir endlich Stühle für die örtliche Grundschule zur Verfügung stellen. Ich kann nicht behaupten, sie hätten viele Fragen zur Verfassung gehabt“, erklärte Laith Kubba, ein Sprecher der Zentralregierung in Bagdad dazu.

Aller Voraussicht nach wird vor allem die schiitische und kurdische Bevölkerung für den Entwurf stimmen. Die Sunniten mobilisieren jedoch massiv dagegen. Über 20 sunnitische Gruppierungen haben am Wochenende dazu aufgerufen, im Referendum mit „Nein“ zu stimmen. Es sollten alle legitimen Mittel angewendet werden, den Verfassungsentwurf abzulehnen, appellieren die Gruppen in ihrer gemeinsamen Erklärung. Anders als bei den Parlamentswahlen im Januar riefen sie aber diesmal nicht zu einem Boykott der Abstimmung auf.

Die Sunniten stellen sich gegen den Entwurf, weil sie sich vor allem durch den dort festgeschrieben Föderalismus an den Rand gedrängt fühlen. „Die Verfassung birgt die Saat der Teilung des Landes in sich, den Verlust seiner arabischen Identität und trägt dazu bei, dass der nationale Reichtum geplündert wird“, heißt es in der Erklärung, die unter anderem von der einflussreichen „Vereinigung muslimischer Rechtsgelehrter“ unterzeichnet ist. „Der Entwurf behandelt nicht alle Iraker gleich“, begründet der prominente sunnitische Scheich Sakaria Tamimi seine Ablehnung. Gleichzeitig wendet er sich aber auch gegen den Aufruf der angeblichen Nummer eins al-Qaidas im Irak, Abu Mussab al-Sarkawi, in dem dieser einen totalen Krieg gegen die Schiiten angekündigt hatte. „Wir können nicht akzeptieren, wenn jemand zum Krieg zwischen den Muslimen aufruft“, meinte er.

Der Verfassungsentwurf gilt als abgelehnt, wenn in mindestens 3 von Iraks 18 Provinzen eine Zweidrittelmehrheit dagegen stimmt. Die Sunniten bilden in vier Provinzen die Bevölkerungsmehrheit. In einem Versuch, doch noch in der Verfassungsfrage einen nationalen Konsens zu erreichen, hat die Arabische Liga eine Delegation nach Bagdad entsandt. In Kairo warnt deren Generalsekretär Amru Mussa unterdessen davor, dass die Lage in Irak so angespannt sei, dass jederzeit ein Bürgerkrieg ausbrechen könne.