: Lamm des Jahres
von Johannes Kopp
Bis zum Donnerstag wird noch abgestimmt. Bis dahin können alle Berliner per Internet die mit einer Dopingsperre belegte Eisschnellläuferin Claudia Pechstein zur Sportlerin des Jahres wählen. Im Erfolgsfalle würde sie wenig später auf einer traditionsreichen Gala im Hotel Estrel geehrt.
Dass sie überhaupt zur Kandidatin gekürt wurde, ist äußerst verwunderlich. Gewählt wird sie gewiss von vielen. Denn Sportfans sind schizophren: An ihrer Scheinwelt halten sie wie Autisten fest. Anschaulicher als mit einer Galaveranstaltung für Claudia Pechstein könnte man das wohl nicht in Szene setzen.
Zumal ein Tag vor dem Abstimmungsschluss, am Mittwoch also, der Internationale Sportgerichtshof (CAS) sein Urteil in der Berufungsverhandlung über die Eisschnelllaufikone fällen wird. Einiges deutet darauf hin, dass die Richter die zweijährige Dopingsperre von Pechstein nicht aufheben.
Sicherlich: Bis zur Entscheidung des CAS darf Pechstein nicht vorverurteilt werden. Sie selbst fordert stets, es müsse auch für sie die Unschuldsvermutung gelten. Die Kandidatenkür zu Berlins Sportlerin des Jahres kommt allerdings einer Unschuldsgewissheit gleich.
Zudem bieten die Organisatoren dieser Wahl Pechstein ein willkommenes Forum, sich als Unschuldslamm zu inszenieren. Aus der Wahl zur Sportlerin des Jahres könnte eine Wahl zum Opfer des Jahres werden. Die Berlinerin hat bereits angekündigt, bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen zu wollen. Vermutlich würde die 37-Jährige sich auch nicht scheuen, die Menschenrechtscharta der UN als juristischen Hebel zu gebrauchen, um ihr letztes großes Ziel zu verwirklichen: eine Medaille bei Olympia in Vancouver.