LeserInnenbriefe
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Abgrenzung spaltet

betr.: „Ein Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“ von ­Gabriele Goettle, taz vom 26. 9. 16

Toller Artikel, wirklich schön zu lesen, Danke! Trotzdem finde ich, dass was gefehlt hat: HG handelt ja mit Revolutionsbedarf, da wäre es doch angebracht, die Angriffe gegen ihn mehr einzuordnen in die politökonomischen Zustände. Fehlt nicht zur revolutionären Perspektive der Bezug zu all den anderen, die auch vertrieben werden?

Die Immobilienwirtschaft hat das erklärte Ziel, ärmere Menschen aus der Stadt zu vertreiben, siehe zum Beispiel die vielen eindeutigen Aussagen in dem Film „Stadt als Beute“, der gerade läuft. Laut einer Studie der Humboldt-Uni, nachzulesen auf dem gentrificationblog, finden derzeit in Berlin täglich mehr als 20 Zwangsräumungen statt. Der Landesjugendhilfeausschuss stellte schon Ende letzten Jahres fest, dass sich allein 2.500 wohnungslose Kinder in Notübernachtungen aufhalten.

Klar ist HG ein Unikum. Es ist großartig, was er leistet und wie authentisch er seine Strategie entwickelt und immer wieder anpasst. Aber HG wird nicht geräumt, weil er besonders ist, sondern weil er, wie Tausende andere auch, der Renditeoptimierung im Weg steht. Das brutale am Kapitalismus ist ja gerade seine Blindheit gegenüber den Menschen, ihrer Unterschiedlichkeit und ihren Bedürfnissen, seine ausschließliche Orientierung an der Zahlungskräftigkeit. Die Abgrenzung gegenüber der „Blumenfrau im Rollstuhl“ geht deshalb an der Realität vorbei und sie spaltet auch. Es werden ja gerade nicht nur die „Staatsfeinde Nummer eins“ zwangsgeräumt.

Ich fand es ziemlich schade, hier nicht eher eine solidarisierende Aussage zu lesen. Solidarisch mit all den unbekannten HGs und Rosemaries, Necmiyes und Tinas, solidarisch gegen die Macht des Kapitals. MARGIT ENGLERT, Berlin

Flüchtlinge instrumentalisiert

betr.: „Klotzen oder kleckern“, taz vom 24. 9. 16

Der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Bergedorf, Herr Dornquast, soll nicht um den heißen Brei herumreden. Baut man Wohnungen nur für 2.000 Flüchtlinge auf einem Fleck, baut man ein Ghetto, dessen Nachteile man mühsam kitten muss. Lässt man in dem gebauten Stadtteil andere Bewohner zu, so entwickelt man ein allgemeines Wohngebiet, so wie in direkter Nachbarschaft in Neu-Allermöhe und Bergedorf (West). Was denn sonst?

Übel finde ich, dass hier die Wohnungsnot der Flüchtlinge instrumentalisiert wird, um eine attraktive stadtnahe offene Landschaft mit einer Großsiedlung zu bebauen.

Es scheint offenbar Ziel und Methode der Städtebaupolitik zu sein, die Bebauungslücke im Gürtel der Großsiedlungen am östlichen Rand Hamburgs zwischen Bergedorf (West) und Neu-Allermöhe mit dem Siedlungsteppich im Bezirk Mitte und Wandsbek, nämlich mit Mümmelmannsberg, Billstedt, Jenfeld, Hohenhorst, Rahlstedt (Ost), Oldenfelde, Meiendorf und wie sie alle heißen, auf Kosten der freien Landschaft mit aller Macht und allen Tricks schließen zu wollen.

In Bergedorf (West) und Neu-Allermöhe kennt man die Probleme neuer Großsiedlungen zur Genüge. Statt zur Linderung der Wohnungsnot erneut wie einen schwarzen Peter für schwächer Betuchte auf Bergedorfer Gebiet eine geschlossene Großsiedlung mit all den bekannten Problemen zu bauen, täte Hamburg besser daran, in den anderen Bezirken Baulücken zu schließen, brachliegende Gewerbegrundstücke zu bebauen und zu großzügig geratene Verkehrsflächen für den Wohnungsbau umzunutzen. Das wäre für das Wohl auch der Stadt Hamburg besser.

INGO FRANSSEN, Bremen

Doppelter Dank

betr.: „No proper understanding“, taz vom 28. 9. 16

Meinem Ärger über die Bundeswehranzeigen in der taz steht mein doppelter Dank an Charlotte Wiedemann zum Schlagloch über die Aufklärung der Verantwortlichkeit britischer Militärinterventionen gegenüber. 1. Für den Satz „Nein zu sagen, kann klug und lebensschützend sein.“ 2. Für die Frage zur Wahrnehmung von Kriegsentscheidungen führender Politiker: „Was sind das für Maßstäbe, wenn wir sie für einen Moment mit den Augen von Menschen außerhalb unseres politisch-kulturellen Gedankenkäfigs betrachten?“ GEORG FISCHER, Schefflenz

Aufforderung zum Kriegseintritt

betr.: „Völkerrecht verpflichtet – zur Rettung Aleppos“ von Dominic Johnson, taz vom 27. 9. 16

Eine profane, unbegründete Aufforderung zum Kriegseintritt, zur weiteren Eskalation und damit auch der Aufruf, den ursprünglichen Kriegstreibern beim Erreichen ihrer Ziele zu helfen. Der taz nicht würdig. Traurig.

Ein kooperativer Friedensplan gemeinsam mit dem UN-Sicherheitsrat, gegebenenfalls mithilfe von „Blauhelmen“ oder Ähnlichem unter Einhaltung des Völkerrechts, wäre nötig. Aber offensichtlich ist der Autor so gut „informiert“, dass er weiß, „was Assad will“, und mal eben schnell – alle vorhergehenden, kriegsverursachende Aktivitäten des Westens ignorierend – das humanitäre Völkerrecht mit Waffengewalt durchsetzen will.

Wieso ist ein Kriegseintritt in Syrien der taz eigentlich eine Titelseite beziehungsweise Top-Headline wert? Noch dazu der Appell, eine „Flugverbotszone“ einzurichten? Etwa weil dies in Libyen schon so „erfolgreich“ war? CHRISTOPH HEINRICH, Wien