SPORTPLATZ
: Strategien gegen durchdrehende Hobbykicker

GEWALT Der Fußballverband geht offensiver mit Angriffen auf Spieler und Schiris um. Das zahlt sich aus

„Die Vernünftigen setzen sich irgendwann durch“

BERND SCHULTZ, OBERKICKER

Die Zeit, als man im Berliner Amateurfußball die unschönen Vorfälle beim Bier am Vereinstresen unter den Tisch kehrte, scheint vorüber. „Früher wollten wir uns nicht mit Dreck bewerfen. Nun ist die Sensibilität eine andere geworden“, sagt Gerd Liesegang, Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbands (BFV).

Wenn auf den Sportplätzen das Fairplay, Schiedsrichter und Spieler mit Füßen getreten werden, will man vonseiten des BFV fortan ohne Wenn und Aber für Öffentlichkeit sorgen: „Es hat ein Bewusstseinswandel eingesetzt“, beteuert auch Verbandspräsident Bernd Schultz. „Wir schrecken nicht vor negativen Meldungen zurück.“

Ende Oktober publizierte der BFV eine Statistik, nach der es in der jungen Spielzeit 2012/2013 im Erwachsenen- sowie Juniorenbereich zu insgesamt 21 Spielabbrüchen gekommen ist. Acht davon waren durch Gewalt provoziert. Für die Schiedsrichter wurde zuletzt die Hemmschwelle zum Spielabbruch nach unten korrigiert: Die Schiris werden ermutigt, auch bei kleineren Scharmützeln Partien abzubrechen und Vorfälle sofort zu melden. Das eigentlich alarmierende Zahlenwerk ist somit auch Resultat veränderter Verbandspolitik. „Es gab früher eine höhere Dunkelziffer. Die negative Statistik ist auch etwas Positives“, erklärt Felix Zwayer, ein Berliner Bundesliga-Schiedsrichter. Gleichzeitig wurden bei Spielabbrüchen in der laufenden Saison bislang keine der ganz schlimmen Gewalttaten gemeldet.

Noch im „heißen Herbst“ – O-Ton Gerd Liesegang – 2011 wäre nach der Attacke eines Hobbykickers beinahe ein Schiedsrichter gestorben. Zum Ende der Saison 2011/2012 hatte der Verband 96 Spielabbrüche vermerkt. Immer wieder gerieten dabei auch die Schiedsrichter ins Visier der Schläger. Die Referee-Zunft drohte mit Streik, eine Protestaktion mit Unterbrechung der laufenden Ligaspiele hat es im Herbst vergangenen Jahres gegeben. „Das war unser Hilferuf“, erklärt Bodo Brandt-Chollé, der Chef des Berliner Schiedsrichterausschusses.

Seitdem hat sich der Verband einiges einfallen lassen, um den Gewaltpegel zu senken und seine rund 1.100 Spielleiter effektiver zu schützen. In Workshops pauken die Unparteiischen Deeskalationsstrategien gegen durchdrehende Kicker. Trainer, Betreuer und Spieler werden zu den Seminaren mit den Referees eingeladen, für auffällig gewordene Fußballer gibt es Antigewaltseminare. „Kaum einer der Spieler, der daran teilgenommen hat, ist rückfällig geworden“, berichtet Schultz, dessen Verband den Gewaltopfern zudem neuerdings Rechtsschutz gewährt. Mit den Maßnahmen will man den Schiedsrichtern auch Sicherheit geben, um sie an den Verband zu binden: „Wir bilden 100 bis 200 Schiedsrichter pro Jahr aus, ebenso viele melden sich aber auch wieder ab“, erklärt Brandt-Chollé.

Dass die ganz bösen Jungs aber zu solchen Workshops kämen, glaubt der Schirichef nicht: „Spieler, Trainer und auch Funktionäre, die wirklich Trouble machen, nehmen an den vom BFV angebotenen Präventionsveranstaltungen gegen Gewalt kaum teil. Die stellen sich nicht.“ Und Brandt-Chollé betont: Es seien Vereine und Spieler mit und ohne Migrationshintergrund, die die Zielgruppe ausmachten.

Der Verband stellt den Schiedsrichtern neuerdings Ansprechpartner aus den Reihen der gastgebenden Clubs zur Seite. Zwayer lobt den Job der sogenannten Guardian Angels: „Ein Schiedsrichter ist nach zwei Spielen in der F-Jugend noch nicht gefestigt. Dann kann er froh sein, wenn sie einen Ansprechpartner im Verein haben.“ Gleichzeitig erhöht der BFV den Druck auf Vereine mit auffällig gewordenen Akteuren. Nach Zwischenfällen wurden schon ganze Mannschaften bis zum Sportgerichtsurteil suspendiert.

Das scheint zu wirken. „Die schlimmen Vorfälle sind zurückgegangen. Vereine helfen jetzt bei der Aufklärung“, berichtet Schultz. Früher habe schon mal ein falsch verstandener Corpsgeist die Fahndung nach Gewalttätern erschwert. Doch der Frust über unbelehrbare Hitzköpfe wächst auch in vielen Clubs. Die Angst vor Verbandssanktionen kommt hinzu.

Die größte Hoffnung des Präsidenten Schultz hingegen ist noch nicht auf allen Plätzen angekommen: „Die Vernünftigen werden sich irgendwann durchsetzen“, glaubt er. JÜRGEN SCHULZ