: Debatten um Klimawandel und Schnitzel in Wien
ÖSTERREICH Mit einem Zukunftskongress wollen die Grünen dem Vorwurf der Anpassung begegnen
WIEN taz | „Die Finanzkrise ist nur die Spitze des Eisberges einer tiefgehenden Systemkrise.“ – „Integration passiert nicht von selbst. Echte Integrationspolitik entzieht dem Rechtspopulismus den Nährboden.“ Das sind zwei von insgesamt 30 Thesen, mit denen sich am Sonntag ein Zukunftskongress der österreichischen Grünen beschäftigte. Geladen war nicht nur die Parteibasis, sondern, so Geschäftsführerin Michaela Sburny, auch „einfach nur interessierte Bürger“.
Die Grünen, die sich in den letzten Jahren vorwerfen lassen mussten, sich den traditionellen Parteien immer mehr anzugleichen, ließen sich damit auf ein Experiment mit Basisdemokratie ein, das zwar „Chaos-Potenzial“ berge, wie Sburny zugab, doch der bei Wahlen stagnierenden Öko-Partei neue Dynamik einhauchen kann.
Mit rund 360 Interessierten fanden sich allerdings nur etwas mehr als halb so viele Menschen ein wie erhofft, um mit den Spitzen der Partei zu debattieren. Die Besucher standen vormittags in Gruppen von sieben bis acht Personen an 60 Tischchen und befassten sich mit ausgesuchten Thesen. Dann konnten sie weiterwandern und sich zu anderen Themen äußern.
Die Thesen, die sich vor allem auf die Bereiche Wirtschaft, Ökologie, Bildung und Migration konzentrieren, standen seit dem 23. Oktober im Netz und wurden dort kommentiert. Manchen erscheinen die Ansätze der Grünen zu wenig radikal, andere brachten konkrete Vorschläge ein. Besonders viele Beiträge gab es zur These „Das tägliche Schnitzel ist nicht nur ungesund, sondern auch klimafeindlich“, die den Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel problematisiert und die Nachhaltigkeit unserer Ernährungsgewohnheiten in Frage stellt.
Hinterfragt wird auch das Bruttoinlandsprodukt als Maß für Wohlstand: „Das BIP wird abgeschafft: das Verhältnis von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität muss neu definiert werden.“ Da geht es vom Index der menschlichen Entwicklung bis zum Konzept des „ökologischen Fußabdrucks“. Anders als die anderen Parteien bekennen sich die Grünen zu Österreich als Einwanderungsland, fordern aber klare Spielregeln und mehr Engagement des Staates.
Die Ergebnisse des Kongresses sollen zunächst schriftlich ausgewertet und dann in den Bundesländern weiter diskutiert werden. Einiges, so Pressesprecher Reinhard Pickl-Herk, werde sofort verwendbar sein, anderes „in einen Programmprozess münden“. RALF LEONHARD