Trägerin des Karlspreises

Schlechtes Timing. Die Popularitätskurve von Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite, der am Samstag der „Internationale Karlspreis 2013“ zugesprochen wurde, zeigt im eigenen Land seit Längerem stetig nach unten.

Übel nimmt man ihr vor allem, dass sie den Wählerwillen wiederholt nur widerwillig zu akzeptieren schien. Im Oktober hatte eine Mehrheit für eine Linkskoalition und gegen ein AKW-Neubauprojekt gestimmt. Grybauskaite legte dieser ungeliebten Koalition und ihren ungeliebten Plänen derart viele Steine in den Weg, dass die Medien sich an diktatorische Zeiten erinnert fühlten und ihr vorhielten, sie könne ihre politische Sozialisation in der KP nicht verbergen. Geboren 1956 in Vilnius, hatte sie nach dem Studium der Politökonomie in Leningrad und Moskau eine leitende Funktion an der Parteihochschule in der litauischen Hauptstadt inne.

Der Sprung von sowjetischer Plan- zu kapitalistischer Marktwirtschaft war aber unproblematisch. Grybauskaite, parteilos-konservativ, ledig, schwarzer Karategürtel, machte Karriere, wurde Diplomatin und führte für ihr Land die Verhandlungen mit Weltbank, Internationalem Währungsfonds und für den EU-Beitritt. Ab 2001 erwarb sie sich als Finanzministerin den Ruf einer „stählernen Lady“, wurde 2004 EU-Finanz- und Haushaltskommissarin und 2009 mit großer Mehrheit zur Staatspräsidentin gewählt.

Wenn die Karlspreis-Begründung ihre Verdienste bei der „Bewältigung der aktuellen Krise“ würdigt, dürfte das zu viel der Ehre sein. Auch eine litauische Staatspräsidentin hat keine Regierungsfunktion, selbst wenn sie öffentlich den rigorosen Sparkurs der Mitte-rechts Koalition unterstützte. Die Absicht der gerade angetretenen sozialdemokratisch geführten Regierung, die schlimmsten sozialen Auswirkungen dieser „Reformen“ zu glätten, bedeutet für Grybauskaite dagegen eine „Gefährdung der Stabilitätspolitik“.

„Eine der herausragenden Persönlichkeiten der baltischen Region“ (Preis-Begründung) ist Grybauskaite zweifellos. Ihre Ehrung dürfte noch einen Grund haben. Als erster baltischer Staat wird Litauen im 2. Halbjahr 2013 die Ratspräsidentschaft übernehmen. REINHARD WOLFF