: Keine Brücke am Fluss
WIEDERVEREINIGUNG Seit 1993 soll im Landkreis Lüneburg eine Brücke über die Elbe gebaut werden: von Neu Darchau nach Amt Neuhaus, über die ehemalige Grenze hinweg. Die Brücke gibt es bis heute nicht. Im Januar werden nun die Bürger befragt
VON ELKE SCHNEEFUSS
1993, vier Jahre nach der Wiedervereinigung, fanden die Idee noch alle gut, die Leute im Westen und die im Osten. Was konnte das neue deutsch-deutsche Miteinander besser symbolisieren als der Bau einer Brücke über die Elbe von Niedersachsen hinüber in ehemaliges DDR-Territorium? Und hatten die Bürger im Osten nicht schnelle und unbürokratische Anbindung an den westlichen Wohlstand verdient, nach 40 Jahren Leben im Todesstreifen?
Bei Neu Darchau im Landkreis Lüneburg sollte die Brücke gebaut werden, hinüber zur Gemeinde Amt Neuhaus, deren Gebiet seit 1993 nicht mehr zu Mecklenburg-Vorpommern, sondern zu Niedersachsen gehört. Zu dem Brückenbau kam es bis heute nicht – stattdessen gab es lange Jahre des Streits. Am 13. Januar 2013, parallel zur Landtagswahl in Niedersachsen, soll nun eine Bürgerbefragung Klarheit schaffen.
Gescheitert war die Brücke zunächst an der Frage, welche Behörde für ihren Bau zuständig ist. Als das geklärt war, stellte sich heraus, dass sich die Gesetzeslage für den Brückenbau geändert hatte: Mit neuen Vorarbeiten und neuen Gutachten gingen weitere Jahre ins Land. Und aktuell steht der Brücke der Lüneburger Kreistag im Weg: Das Geld ist knapp und die Kosten sind mit voraussichtlichen 45 Millionen Euro so hoch, dass die Mehrheit aus SPD und Grünen das Votum der Bürger haben möchten, bevor entschieden wird.
Wenn es nach Ralf Makagon ginge, wäre die Sache klar. Seit acht Jahren lebt er als selbstständiger Versicherungskaufmann in der Gemeinde Amt Neuhaus, in Fließrichtung also rechts der Elbe. „Die Menschen hier haben die Nase voll, sie vertrauen der Demokratie nicht mehr“, sagt er. Seinen Ärger teilt er mit rund 4.500 anderen Einwohnern der rechtselbischen Ortschaften. „Die Menschen hier verstehen das nicht. Sie haben das Projekt eigentlich abgeschrieben. Dabei ist das hier die einzige Stelle an einer Bundeswasserstraße, wo eine Elbquerung im Abstand von 50 Kilometern fehlt.“
Für Makagon ist die Erfüllung des Brückenversprechens heute wichtiger denn je: die Einwohnerzahl in der Gemeinde Amt Neuhaus fällt kontinuierlich, Firmen wandern ab, Hauseigentümer beklagen Leerstände. Das alles ließe sich ändern durch eine Brücke, glaubt er: „Schon die alten Römer wussten, dass Verkehrswege die Wirtschaft beleben. Doch bei uns passiert nichts.“
Quasi als Selbsthilfemaßnahme haben Anwohner von beiden Seiten des Flusses im März dieses Jahres den Förderverein „Brücken bauen e.V.“ gegründet. Der habe Zulauf von diversen Institutionen, sogar ganze Kommunen seien ihm schon beigetreten, sagt Dieter Hublitz, ehemals Bürgermeister im Amt Neuhaus. Hublitz kam 1993 nach dem Mauerfall in den Osten, leistete als Verwaltungsfachmann Aufbauhilfe in Mecklenburg-Vorpommern, blieb in der Elbtalaue und lebt bis heute hier.
„Unsere sozialen Kontakte, das Vereinsleben, das alles ist hier draußen intensiver“, sagt er. Er singt im Shanty-Chor, kümmert sich als Ex-Bürgermeister noch immer, wo es etwas zu kümmern gibt und findet, so schlecht sei das Leben am Fluss gar nicht. „Wir haben eigentlich alles, was junge Familien anzieht. Es gibt Ärzte, Kindertagesstätten und Schulen. Aber was fehlt, ist eine vernünftige Verkehrsanbindung.“
Am Tag der Deutschen Einheit gab es ein Brückenfest direkt am Fluss, da seien 5.000 Besucher dabei gewesen: „80 Prozent der Bürger im Landkreis Lüneburg werden im Januar für die Brücke stimmen“, glaubt Hublitz. „Doch je länger wir mit dem Bau der Brücke warten, desto teurer wird er voraussichtlich.“
Der Landrat des Landkreises Lüneburg, Manfred Nahrstedt (SPD), sieht den Brückenbau skeptisch. „Eines steht fest: Mehr als zehn Millionen Euro für die Brücke auszugeben, das kann der Landkreis sich nicht leisten“, sagt er. 45 Millionen Euro würde der Bau voraussichtlich kosten. Die Landtagsabgeordnete Miriam Staudte von den Grünen verweist darauf, dass eine verlässliche Unterstützung des Landes bisher nicht in Sicht sei: „Es gibt keine einklagbaren Zusagen des Landes, es gibt höchstens politische Willensbekundungen. Und wer die Folgekosten für die Elbquerung trägt, ist nach wie vor völlig offen“, sagt sie.
Auch abgesehen vom Geld ist den Grünen die gigantische Stahl- und Betonkonstruktion nicht geheuer: Sie würde gebaut inmitten einer der schönsten Flusslandschaften Deutschlands, die als sogenanntes Biosphärenreservat unter besonderem Schutz steht.
Gegenwind für das Projekt kommt auch direkt von der anderen Seite des Flusses: von einer Bürgerinitiative in Neu Darchau, die sich „Ja zur Fähre – Nein zur Brücke“ nennt. Mehr Lärm, mehr Abgase, mehr Verkehr – das sei alles, was man von der geplanten Elbquerung zu erwarten habe, sagt Gabriele Mischke, Sprecherin der Bürgerinitiative, die es bereits seit fünf Jahren gibt. „Es ist nicht so, dass wir kein Verständnis für die Sorgen der Menschen im Amt Neuhaus haben. Aber die Probleme können auch mit einer besseren Fährverbindung gelöst werden. Das würde die elf Arbeitsplätze auf der Fähre sichern. Dass eine Brücke neuen Wohlstand hier draußen bringen würde, das glauben wir definitiv nicht.“
Ähnlich sieht das der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Klaus-Peter Dehde: „Man sollte den Neuhäusern nicht länger vorgaukeln, dass mit der Brücke der Wohlstand kommt“, sagt er. Die einzige Chance für das Amt Neuhaus liege im Tourismus. „Und dem schadet die Bücke eher, als dass sie ihm nützt.“