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Archiv-Artikel

Rechtsfreier Raum Feuerbergstraße

Kontrolle von Post und Anwälten, Psychopharmaka und amtlich erwünschte Kooperation mit befreundeten Medien: Vertrauliche Protokolle und interne Dienstanweisungen belegen systematische Rechtsverstöße im Geschlossenen Heim

von Sven-Michael Veit

Im Geschlossenen Heim Feuerbergstraße für straffällige Jugendliche herrscht ein amtlich verordnetes System von Rechtsverstößen. Das belegen vertrauliche Unterlagen und behördliche Dienstanweisungen, welche der taz vorliegen. Danach sind selbst Eingriffe in grundgesetzlich geschützte Rechte nicht nur an der Tagesordnung, sondern von der Amtsleitung in der Sozialbehörde sogar angeordnet worden. Dies geht weit über die bisher bekannten Rechtsbrüche hinaus, die SPD und GAL am Montag den Rücktritt der zuständigen Senatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) fordern ließen (taz berichtete gestern).

Im so genannten Übergabebuch der Feuerbergstraße müssen die MitarbeiterInnen und Sicherheitskräfte besondere Vorkommnisse minutiös festhalten. So heißt es darin in einem Vermerk (alle Zitate in unkorrigiertem Wortlaut, Namen zu Initialen verkürzt, d. Red.) vom Dienstag, dem 20. Mai 2003: „Leider ist es wieder passiert, dass F. mit seinem Anwalt gesprochen hat, ohne jemanden von uns anwesend zu sein.“ In einem Vermerk vom Mittwoch, 25. Juni 2003, heißt es: „Wir kontrollieren D.s Briefe (4 Stück), die er von S. erhielt. Die beiden sind frisch verliebt ...“.

Nach mehrfachen Beschwerden von Anwälten wurde in einer neuen Dienstanweisung (DA 62) vom 1. Juni 2004 diese Regelung gelockert. Danach wurde auf die Anwesenheit von MitarbeiterInnen bei Telefonaten der Jugendlichen „mit ihren Verfahrenspflegern und Anwälten in Zukunft verzichtet“. Damit werde, so heißt es dort ausdrücklich, „eine Entspannung der Beziehungen zu diesem Personenkreis“ angestrebt. Die DA 46 bestimmt aber weiterhin: „Ein- und ausgehende Post ist zu kontrollieren. Post, bei der die Kontrolle verweigert wird, wird nicht abgeschickt oder weitergereicht.“

Diese Postkontrollen und vor allem der Bruch der Vertraulichkeit des Wortes zwischen Anwalt und Mandant sind eklatante Rechtsverstöße, die so selbst in Justizvollzugsanstalten nicht stattfinden.

Des Weiteren ist in den Übergabebüchern detailliert die Vergabe von Psychopharmaka an die Jugendlichen vermerkt worden, ebenso die psychischen und physischen Reaktionen der Jugendlichen sowie die daraus erwachsenden Bedenken einzelner MitarbeiterInnen: Das Beruhigungsmittel „Truxal scheint ziemlicher Hammer zu sein und kann Magenschmerzen verursachen“, ist dort unter dem Datum Samstag, 26. Juli 2003, notiert und wenige Stunden später: „Truxaleinnahme bei S. doch noch mal überdenken, er ist heute sehr benommen.“ Diese Praxis beschäftigt bereits seit Wochen den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) Feuerbergstraße, auch die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Ermittlungen aufgenommen. Aus den Akten geht ebenfalls ein Zusammenspiel zwischen Sozialbehörde und wohlgesinnten Medien hervor, wie im Fall der Verlegung des damals 12-jährigen A. im August 2003 in eine andere Unterbringung bei Lunden in Dithmarschen (Auszüge siehe Kasten).

Kurz zuvor war nach Informationen von Christiane Blömeke, GAL-Obfrau im PUA, bereits ein anderer Jugendlicher zwischen dem Heim Feuerbergstraße und einer Einrichtung bei Risum-Lindholm in Nordfriesland hin- und hergeschoben worden – zum Teil mitten in der Nacht und trotz Begleitung durch seine Mutter mit Klettbändern „fixiert“. Zur Aufklärung hat Blömeke gestern eine umfangreiche Anfrage an den Senat eingereicht. „Offenbar“, so die Grüne, „herrschen in der Feuerbergstraße unhaltbare Zustände“.