: Deutschland, die ungezählte Nation
Statistiker möchten 2010 das Volk zählen lassen – weil derzeit genaue Daten fehlen. Doch das Verfahren ist umstritten
Es ist ein 600 Seiten starker Wälzer, eng bedruckt mit Zahlenreihen. Das Statistische Jahrbuch 2005 gibt detailliert Auskunft über die deutsche Bevölkerung. Alter, Beruf, Konfession und Bildungsstand der Bundesbürger sind fein säuberlich aufgelistet. Trotzdem klagte gestern Johann Hahlen, Präsident des Statistischen Bundesamtes, bei der Vorstellung des Jahrbuches, dass die Daten fehlerhaft seien. „Die Zahlen sind unscharf, wie unscharf genau wissen wir aber nicht.“
Schuld sei die deutsche Abneigung gegenüber Volkszählungen. Da seit 1987 nicht mehr zentral gezählt wurde, sei man darauf angewiesen, die alten Daten mit Hilfe der Einwohnermeldeämtern fortzuschreiben. „Allein die Tatsache, dass seit der Wiedervereinigung keine umfassende Erhebung mehr gemacht wurde, zeigt, dass wir dringend einen Zensus brauchen“, sagte Hahlen.
Deutschland müsse sich daher an der für 2010 geplanten EU-weiten Volksbefragung beteiligen, fordert der Statistische Beirat, ein Gremium, in dem Wirtschaftsverbände, Hochschulen und verschiedene Ministerien vertreten sind. Hierfür soll bis 2007 ein Gesetz verabschiedet werden, dass den Aufbau eines Gebäuderegisters ermöglicht. Ziel sei es, die Zahl der Häuser und Wohnungen in Deutschland genau zu ermitteln.
„Mit diesen Daten wäre es möglich, einen registergestützten Zensus durchzuführen“, erklärte Hahlen. Auf eine flächendeckende Befragung wie 1987 könne so verzichtet werden. Statt Menschen an der Wohnungstür zu befragen, würden Statisiker die Daten der Meldeämter mit denen des Gebäuderegisters abgleichen. Lediglich in Fällen, in denen „unplausible Relationen“ auffallen, wird dann an der Tür geklingelt, um den Fragebogen persönlich auszufüllen zu lassen.
Der Bundesbeauftragte für Datenschutz beobachtet die Pläne skeptisch. „Die neuen Methoden müssen natürlich in Einklang mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 stehen“, die sagt Ira von Wahl, Sprecherin des Datenschutzbeauftragten. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums habe ein erster Testlauf aber gezeigt, dass dies datenschutzrechtlich durchaus machbar sei.
Bei der geplanten Volksbefragung müsse zudem für jede einzelne Frage ihre Erforderlichkeit nachgewiesen werden, betont von Wahl: „Die Zugriffsmöglichkeiten auf die Melderegister dürfen nicht dazu führen, dass Daten großzügiger erhoben werden.“ Außerdem müsse das gesamte Verfahren für den Bürger transparent gestaltet werden.
JAN PFAFF