: Das Vorrecht der Jugend
Er ist der etablierte Altstar, sie sind die neue Sensation. Was dann doch lustig ist: Weil Till Brönner es erstaunlich lange verstanden hat, in den Augen des Jazzpublikums das immerzu aufstrebende Talent zu bleiben. Daran mag vor allem die immer noch recht jungenhafte Erscheinung des mittlerweile 41-jährigen Trompeters schuld sein. Im direkten Vergleich mit Schneeweiss & Rosenrot aber wirkt Brönner ziemlich alt.
Ziemlich alt, das gilt im Jazz dieser Tage allerdings als Qualitätsmerkmal. Für sein elftes Album, das den so schlichten wie selbstbewussten Titel „Till Brönner“ trägt, hat der Casting-Show-Juror, der eine Professur in Dresden bekleidet, erst einmal wieder das Singen aufgegeben, sich ein Flügelhorn gegriffen und überaus versiert das Klangbild nachgestellt, das Produzent Creed Taylor für die Veröffentlichungen seines legendären Labels CTI in den siebziger Jahren entworfen hatte. Dass Brönner ausgerechnet diesem warmen, souligen Sound, mit dem Chet Baker, George Benson, Freddie Hubbard oder Herbie Hancock reüssierten, nachstrebt, das ist spätestens seit seinem Baker-Tribute-Album „Chattin with Chet“ kein Geheimnis mehr und sowieso folgerichtig. Schließlich fanden selten sonst in der Geschichte des Jazz künstlerischer Fortschritt und kommerzieller Erfolg so einträchtig zusammen. Die Hälfte mit dem Kommerz gelingt Brönner bekanntlich schon ganz gut, im Gegenzug aber wird er immer wieder von den Gralshütern angegriffen. Dazu haben die auch diesmal Gelegenheit: „Till Brönner“ ist arg gefällig geraten. Könnte man sagen. Aber auch: Mit großer Liebe zum Detail und noch mehr handwerklichem Geschick beschwört einer der besten Jazzmusiker dieses Landes eine grandiose Epoche herauf.
Während sich Brönner durch die Vergangenheit gräbt, zeigen Schneeweiss & Rosenrot auf, wo die Zukunft des Jazz liegen könnte. Das in Berlin beheimatete Quartett mit Mitgliedern aus der Schweiz, Schweden, Luxemburg und Deutschland hat im Frühjahr den Neuen Deutschen Jazzpreis gewonnen. Auf „Pool“ zeigen sie, warum: Nichts erinnert hier an all die Cool-, Free- oder Fusion-Klischees. Stattdessen synkopierte Rhythmen, komplexe Gesangsmelodien, Einflüsse, die vom Chanson bis zur Weltmusik reichen, elektronische Spielereien und ein unüberhörbarer Humor. Es ist wohl das Vorrecht der Jugend, Jazz mal ganz anders zu denken.
THOMAS WINKLER
■ Till Brönner: „Till Brönner“ (Verve/Universal)
■ Schneeweiss & Rosenrot: „Pool“ (Calibrated/Edel)