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Archiv-Artikel

Auf eigene Faust verschoben

WETTSKANDALE IN EUROPA Da will der italienische Fußball nicht zurückstehen: Die Polizei verhaftet neun Verdächtige, darunter einen Vereinspräsidenten und einen Mafioso. Die Vorwürfe: Spielmanipulationen, Bildung einer kriminellen Vereinigung und Erpressung

Die Betrüger sollen nicht zimperlich gewesen sein. Gewalt und Einschüchterung gehörten zum Handwerk

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Auch Italien hat jetzt seinen Fußballwettskandal. Am Montag früh wurden der Präsident des italienischen Fußballdrittligisten Potenza Calcio, Giuseppe Postiglione, und der Mafioso Antonio Cossidente verhaftet, zusammen mit sieben vermutlichen Mittätern. Ihnen allen wird von der Antimafiaabteilung der Staatsanwaltschaft Potenza die Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel des Wettbetrugs vorgeworfen. Um ihre Ziele zu erreichen, hätten die Täter sich auch der Erpressung und der Androhung von Gewalt schuldig gemacht.

Es ist purer Zufall, dass der Zugriff der Fahnder just in den Tagen erfolgte, in denen ganz Europa von dem Fußballwettskandal erschüttert wird. Von dem dürfte in Italien ohnehin kaum einer etwas mitbekommen haben. In die Nachrichtensendungen der großen Fernsehanstalten hat es die Bande, die von Deutschland aus agiert hat, jedenfalls nicht geschafft. Vielen Tageszeitungen war das, was der Kontinentalverband Uefa den größten Betrugsskandal in der Geschichte des europäischen Fußballs genannt hat, nicht einmal eine Meldung wert. Das hat auch damit zu tun, dass nach dem gegenwärtigen Wissensstand die jetzt in Italien Verhafteten mit jenem Ring, der quer über den Kontinent Spiele verschob, nichts zu tun haben und auf eigene Faust in Italien aktiv waren. Schon seit 2007 war die Staatsanwalt der Gruppe auf der Spur.

Die Staatsanwaltschaft glaubt beweisen zu können, dass Vereinspräsident Postiglione und der Mafioso Cossidente die Zweitliga-Partie Ravenna – Lecce in der Saison 2007/08 ebenso verschoben haben wie mindestens sechs Spiele der 3. Liga in der Saison 2008/09. Allein bei dem Spiel Ravenna – Lecce soll Cossidente einen Wettgewinn von immerhin 86.000 Euro eingestrichen haben. Zudem wird Cossidente vorgeworfen, Geld mit dem „Verkauf“ von Spielen verdient zu haben.

In ihren Methoden sollen die Betrüger alles andere als zimperlich gewesen sein. Der Chef des mit dem Fall betrauten Ermittlerkommandos der Carabinieri von Potenza, Antonio Milone, erklärte jedenfalls am Montag im Radio: „Dort, wo es nicht möglich war, in ruhiger Manier am grünen Tisch ein Resultat auszuhandeln, wurde mit Gewalt und Einschüchterung operiert.“ Der Mafioso Cossidente war dafür der richtige Mann. Er gilt als Vertreter der „Basilischi“, der in der kleinen süditalienischen Region Basilikata mit der Hauptstadt Potenza aktiven sogenannten „fünften Mafia“.

Anders als die sizilianische Cosa Nostra, die Camorra aus Neapel, die kalabresische ’Ndrangheta oder die apulische Sacra Corona Unita sind die Basilischi auch in der italienischen Öffentlichkeit so gut wie unbekannt – doch Cossidente ist kein kleines Kaliber – und wahrlich kein unbeschriebenes Blatt: Er musste sich bereits wegen Mordes, Mordversuchs, Waffen- und Drogenhandels verantworten.

Auf der anderen Seite steht mit Giuseppe Postiglione allerdings ein Mann, der bisher als sauberer Unternehmer galt. Sein Geld verdiente er als Verleger und als Inhaber diverser lokaler Radio- und TV-Sender. Er trat blutjung als Retter von Potenza Calcio an. 2006, als er den Verein übernahm, war Postiglione gerade mal 24 Jahre alt – und wurde so der jüngste Klubbesitzer Italiens. Potenza, das bis Ende der 60er-Jahre noch in der „Serie B“, in Italiens 2. Liga, gespielt hatte, war über die Jahre immer weiter abgerutscht, zeitweise gar in die fünftklassige „Serie D“, die höchste Amateurliga.

Postiglione gelang es in kurzer Zeit, den Verein in die 3. Liga zu führen. Damals feierten ihn die Fans begeistert, doch die Harmonie zwischen Vereinspräsident und Tifosi hatte in den letzten Monaten schon schwer gelitten. Ausgerechnet am letzten Samstag musste der junge Unternehmer sich Sprechchöre wie „Postiglione, hau ab!“ anhören. Er hatte gekontert, die Fans sollten sich „erst mal Gedanken machen, wohin sie gehen, dann überlege ich mir, wohin ich gehe“.

Das muss Postiglione jetzt wohl nicht mehr. Die U-Haft dürfte seiner Karriere als Vereinspräsident ein Ende setzen. Nur wenige Jahre nach dem umfangreichen Betrugsskandal um angeblich von Juventus-Turin-Manager Luciano Moggi per Schiedsrichtermanipulation verschobene Spiele beschert der neue Fall Italiens Fußball vor allem eins: neuerliches Misstrauen in eine eh schon angeschlagene Glaubwürdigkeit.