ÖSTERREICHS STUDENTEN SIND TOP : Freiheit und Vernunft
ISOLDE CHARIM
Jetzt haben die österreichischen Studenten das getan, was die Politik immer von ihnen fordert – sie haben Österreich europaweit top positioniert, und wieder sind die Herren nicht zufrieden. Denn der mittlerweile verbreitete „Audimaxismus“ nahm in Wien seinen Ausgang und ist so etwas wie der Exzellenzbereich der Studentenproteste geworden.
Natürlich sind Studentenrebellionen nichts Neues, aber diese Bewegung weist doch einige signifikante Besonderheiten gegenüber ihren Vorgängern auf. Neu ist beispielsweise eine Selbstverpflichtung auf Vernunft in mehrfacher Hinsicht. Da gibt es eine operative Vernunft, die umfasst Putzdienste, die die Orte des Geschehens sauber halten, ebenso wie eine formal einwandfreie Diskussionskultur, die da lautet: Absage an Repräsentationsfiguren, die sich an die Stelle der Bewegung setzen, stattdessen ein partizipatives Rotationsprinzip, das eine Vielzahl unwahrscheinlich eloquenter junger Leute in Erscheinung treten lässt.
Dann gibt es noch eine technisch-organisatorische Vernunft, die ihresgleichen sucht. Vor allem von der Internetnutzung mit Pressedienst und Livestream (www.unsereuni.at), die innerhalb kürzester Zeit etabliert wurden, könnten sich sämtliche Parteien etwas abschauen. Die sehen nämlich daneben alle, durch die Bank, ziemlich alt aus. Übrigens auch all die K-Gruppen, die seit vierzig Jahren in den Ritzen der Universitäten überwintern und noch jede Bewegung zu übernehmen versuchten. Nicht unerfolgreich bis dato, waren sie doch so etwas wie der Gedächtnisspeicher für rebellisches Know-how und die Herren über deren elementare Produktionsmittel – etwa die Druckmaschinen für Flugblätter. Alles vorbei.
Mit dem Internet lässt diese Rebellengeneration die zentralistischen Kadergruppen weit hinter sich. Diese haben ausgedient. Nicht weil sich die Debatten heute nur noch um die Partikularinteressen der Studenten drehen würden – wie man vielleicht annehmen könnte, angesichts einer Generation, die man bislang als unpolitisch und rein karriereorientiert eingeschätzt hatte. Nein, das ist kein postideologischer Pragmatismus. Die Debatten haben durchaus eine gesamtgesellschaftliche Perspektive – aber eben nicht in der Art der K-Gruppen.
In den ersten Tagen der Besetzung kam ein türkischer Gewerkschafter ins Audimax, versicherte die Studenten in martialischem Ton seiner Unterstützung und skandierte dann all die Formeln vom antiimperialistischen Kampf bis zur internationalen Solidarität. Sie verhallten, denn die Audimaxisten diskutieren gerade ihre studentischen Belange als politische. Sie debattieren die gesamtgesellschaftliche Dimension ihrer Interessen und thematisieren damit viel nachdrücklicher die allgemeinen gesellschaftlichen Probleme. Denn die Bildung, die gesamte Bildung inklusive der Schulen, ist zu einer zentralen Instanz geworden, an der wesentliche gesellschaftliche Belange entschieden werden. Fragen des Sozialstaates etwa, dessen Konsens ja zunehmend bröckelt, wie gerade die deutsche Diskussion der letzten Zeit deutlich machte, ebenso wie Fragen des Versagens der Elite – ein Versagen, das sich übrigens gerade im Umgang der Politik mit den streikenden Studenten nochmals nachdrücklich bestätigt.
Kurzum – die Studenten verstehen sehr wohl, dass gerade die Bildung jener Bereich ist, an dem gesellschaftliche Integration vollzogen wird – oder eben nicht. Deshalb ist das, was hier stattfindet, eine tatsächliche, eine politische und eine zentrale Debatte. Und ebendeshalb pilgern derzeit viele – auch Nichtstudenten – zum Audimax, dem heute vielleicht einzigen politischen Ort der Lebendigkeit, der Leidenschaft, des Aufbruchs in der Stadt.
Alles nur Party, wie die Gegner des Audimaxismus in denunzierender Absicht meinen? Dann ist das aber eine Party, wie sie sein sollte – eine, die ihre Teilnehmer völlig verändert, denn diese haben nichts weniger als eine Freiheitserfahrung gemacht.
■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien