: Tödliches Matriarchat
Peer Boysen inszeniert Janáceks Oper „Katja Kabanov“ als dramatische Verstrickung einer jungen Frau
„Lange Umarmung“ steht in der Partitur und: „Katja springt in den Strom“. Davon ist am Bremer Goetheplatztheater in der neuen Inszenierung von Leos Janáceks „Katja Kabanova“ durch den Regisseur Peer Boysen nichts zu sehen. Schon in „Turandot“ schien er der Präsenz der Musik mehr zu vertrauen als schwülstigen Szenenanweisungen, in dem er das Orchester auf die Bühnen setzte.
Hier nun, in dieser tragischen Geschichte einer jungen, von ihrer keifenden Schwiegermutter unterdrückten Frau, die sich in ihrer Sehnsucht nach Freiheit mit einem Fremden einlässt, vermeidet Boysen alles Realistische und findet eine höchst eindrucksvolle Stilisierung, die das dahinterstehende Drama nur umso deutlicher profiliert. Die Menschen des Dorfes sind mit leder-ähnlichen Fantasiekostümen schwarz gekleidet, dazwischen die weiß gekleidete Katja: traurige und verzweifelte Außenseiterin. Sabine Hogrefe, neu im Ensemble, verleiht dieser Katja innere Größe, zeichnet komplex deren Charakter zwischen jugendlicher Schwärmerei, auch Spinnerei, und wirklicher Unterdrückung. Eine an sich schon unglaublich schwere Rolle, deren eigentliches Format durch die Stimme deutlich wird: Hier verfügt die hochdramatische Sängerin erfreulicherweise über eine Fülle leiser Nuancen. Katja hat ein Double zur Seite, die Tänzerin Christine Stehno, die im Programmheft als „Wolga“ zu finden ist. Sie ist an entscheidenden Stellen helfend da, zu ihr kehrt Katja am Ende reumütig zurück.
Auch das Bühnenbild stammt von Boysen: Es schafft genauso in mehr oder weniger abstrakten Räumen und Gittern realistische Inseln, die unter die Haut gehen, wie die so bedeutsame Gartentür. Gabriele Künzler als böse Schwiegermutter Kabanicha kann einen wirklich das Gruseln lehren und der neue Heldentenor Jevgenij Taruntsov zeigt den Tichon als höriges Muttersöhnchen und aufgeblasenes Nichts: Katja zerbricht weniger an den Dorfstrukturen als an einem solchen Matriarchat. Zu der monströs verlogenen Gesellschaft gehören weiterhin der reiche Kaufmann Dikoj (Karsten Küsters), Katjas Liebhaber Boris (Benjamin Bruns), das Findelkind Barbara, das Katia so zugetan ist (Sybille Specht) und der etwas spinnerte Lehrer Kundrjasch (Mihai Zamfir).
Generalmusikdirektor Lawrence Renes ist Janácek-Fan, das wurde schon im „Schlauen Füchslein“ deutlich. Mit ebenso großer Genauigkeit wie leidenschaftlichem Expressivo entwickelt er die originelle Musiksprache des tschechischen Komponisten, der die Sprache des einfachen Volkes als das Handwerk des Komponisten ansah: Musik als Naturprodukt, den Affekten der Umgangssprache abgelauscht. Der so stark emotionale Gehalt von Janáceks Musik kam ohne Abstriche an und erreichte langen und herzlichen Beifall bis hinzu Ovationen.
Ute Schalz-Laurenze
Die nächsten Aufführungen: 15., 29.10.