: Dominikus Müller schaut sich in den Galerien von Berlin um
Im Glashaus. Genauer: in jenem alten Glaskasten auf der Karl-Marx-Allee, der jetzt die Galerie Capitain Petzel beherbergt. Kelley Walker sorgt hier in der vollen Einsichtigkeit für ein kleines bisschen Heimeligkeit: Das dominierende Gestaltungsmittel seiner Ausstellung sind seltsam hybride Leinwand-Print-Collagen aus alten Zeitungen im rustikalen Backsteinmauer-Look. Dazu gibt es eine geschwungene Plexiglasskulptur, per Titel als Pissoir zu dechiffieren, und ebenfalls auf Leinwand geprintete Vintage-Anzeigen für einen DJ-Plattenspieler. Richtig, wir befinden uns in einem Club, abstrahiert ein wenig zwar, dafür hat man es immerhin mit David Mancusos Disco-Urzelle „The Loft“ zu tun. So will das zumindest der Pressetext. Und wer dort dann auch gleich noch die kurze Abhandlung zu verschiedenen Printverfahren liest, ist sich schnell überhaupt nicht mehr sicher, um was es hier geht. Nur ein paar Meter weiter dann gleich so etwas wie der Gegenentwurf: Andreas Bunte hat in die abgedunkelten, holzvertäfelten Räume der Galerie Ben Kaufmann ein kleines Retro-Kabinett gebaut und den Zeiger der Zeitmaschine direkt auf „Fin de Siècle“ gedreht. Hier gibt es Schautafeln mit Gewächshäusern, Stahlkonstruktionen, Interieurs und monströser Radio- und Rundfunktechnik der ersten Stunde. Aus diesem Source-Material hat Bunte Filme gebastelt, die sich am Übergang der privatistischen bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ins öffentliche Leben der Massengesellschaft des 20. Jahrhunderts abarbeiten. Radiowellen dringen durch die dicken Wände mitten hinein ins traute Heim. Gewächshäuser dagegen sind von Anfang an paradoxe Hybridarchitekturen. Walter Benjamins Passagenwerk lässt so nicht nur grüßen, sondern wird auch noch ganz direkt herbeizitiert. So viel Ehrlichkeit tut am Ende doch irgendwie richtig gut.
■ Kelley Walker; bis 19. Dezember, Di.–Sa., 11–18 Uhr, Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45 ■ Andreas Bunte: „Künstliche Paradiese“; bis 19. Dezember, Di.–Sa., 11–18 Uhr, Galerie Ben Kaufmann, Stausberger Platz 8