: „Wenn ich gegen den nächsten Baum fahre, hab ich endlich Ruhe“
Anfangs Blumen und kleine Geschenke als Rückeroberungsversuch, anschließend Anrufe und ungebetene Besuche, am Ende Vergewaltigungsdrohungen: „Stalker“ machen ihren Opfern das Leben zur Hölle. In NRW suchen immer mehr Frauen, die von ihren Ex-Partnern terrorisiert werden, professionelle Hilfe. Wichtig ist es, Schuldzuweisungen abzubauen
KÖLN taz ■ „Manchmal hatte ich so richtige Selbstmordimpulse“, sagt Sabrina. „Da fuhr ich nachts im Auto und dachte mir: Wenn ich jetzt gegen den nächsten Baum fahre, dann hab ich endlich Ruhe.“ Drei Jahre lang wurde die 36-jährige Frau „gestalkt“. Beratungsstellen in Nordrhein-Westfalen stellen fest, dass immer mehr Frauen, die von Stalkern belästigt werden, professionelle Unterstützung suchen.
Stalker heißt im Deutschen so viel wie „Pirschjäger“. Eine Person ist von einer anderen geradezu besessen, lauert ihr auf und belästigt sie durch ständige Telefonanrufe, SMS oder E-Mails. „Stalker sind eiskalt berechnend. Sie leiden häufig unter narzisstischen Kränkungen und planen die systematische Zerstörung ihrer Opfer“, erklärt Christian Lüdke, Mitglied der Psychotherapeutenkammer NRW und Geschäftsführer der Kölner HumanProtect GmbH, die psychologische Soforthilfe anbietet.
Sabrina kannte ihren Täter, wie es bei den meisten Stalking-Opfern der Fall ist. Nach einer kurzen Beziehung trennte sie sich von ihm. Ihr Exfreund kaufte ihr Rosen, schrieb Briefe und machte ihr kleine Geschenke – die üblichen Rückeroberungsversuche. Doch als das Telefon anderthalb Jahre lang bis zu 80 Mal am Tag klingelte und er täglich vor ihrer Haustür stand, bekam Sabrina es mit der Angst. „Mir war zu dem Zeitpunkt gar nicht klar, dass ich gestalkt wurde. Ich kannte den Begriff noch gar nicht.“
Als sie zur Polizei ging, wurde der Fall zunächst heruntergespielt und man riet ihr, sich doch geschmeichelt zu fühlen. Die Situation wurde jedoch immer unerträglicher. Es folgten Vergewaltigungsdrohungen. „‘Ich werde dich durchficken‘, sagte er zu mir. ‚Wenn ich innerlich verblute, sollst du äußerlich verbluten‘.“
Erika Brökling, Leiterin der Frauenberatungsstelle von FrauenLeben e.V. Köln weiß, dass diese Drohungen durchaus ernst zu nehmen sind. „Das Risiko physischer Gewalt besteht immer. Eine Untersuchung ergab, dass es in 30,4 Prozent der Fälle zu einer Gewaltanwendung kam.“ Als Sabrina schließlich mit einer Waffe bedroht wurde, besorgte sie sich eine einstweilige Verfügung, die ihr Stalker allerdings komplett ignorierte.
Stattdessen brach er in ihre Wohnung ein, durchwühlte ihre Unterlagen, onanierte in ihr Bett und stahl ihre getragene Unterwäsche. „Stalker leiden unter einem Liebeswahn, einer paranoiden Schizophrenie. Das bedeutet, dass sie eine falsche Überzeugung von der Realität haben. Sie beziehen alles auf sich, sogar wenn der Nachrichtensprecher im Fernsehen etwas sagt. Deshalb sind sie auch so schwer therapierbar“, erzählt Christian Lüdke. Die Ursachen für solch eine Persönlichkeitsstörung liegen oft weit zurück. „Häufig beruht ihr Verhalten auf einer Missachtung, die sie um ihr zwölftes Lebensjahr herum erlebt haben.“
Nach anderthalb Jahren stand der Stalker von einem auf den anderen Tag nicht mehr vor Sabrinas Wohnungstür. „Da erfuhr ich, dass er ins Haus gegenüber eingezogen war.“ Nach drei Zivilprozessen und einem Strafprozess hatte Sabrina ihren Ex-Freund schließlich finanziell am Ende. Er kam mit Bewährung, einer hohen Geldstrafe und einer Therapie davon, wobei sie ganz froh darüber war, dass er zu keiner Haftstrafe verurteil wurde. „Im Gefängnis hätte er nur noch größere Aggressionen gegen mich aufgebaut.“ Sie selbst begab sich ebenfalls in Therapie. „Ich litt unter Depressionen, es ging gar nichts mehr.“
Laut Elisa Brökling besteht ein hoher Bedarf an psychologischer und juristischer Beratung von Stalkingopfern. Wichtig sei es zunächst, Schuldzuweisungen abzubauen und die eigene Wahrnehmungsfähigkeit wieder herzustellen. Insbesondere, wenn eine Partnerschaft zwischen Opfer und Täter bestanden habe, sei es für die Betroffenen schwierig, ihre Situation als Stalking zu identifizieren. Andrea Cornelsen, Rechtsanwältin für Familienrecht in Köln, wird regelmäßig mit Stalking als „Nebenprodukt“ eines Scheidungsfalles konfrontiert. Die Opfer können zwar zivilrechtlich auf das Gewaltschutzgesetz zurückgreifen und somit eine einstweilige Verfügung beantragen, eine strafrechtliche Grundlage indes fehlt derzeit noch. Allerdings legte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) im April einen Entwurf für ein Anti-Stalking-Gesetz vor, das bislang jedoch am Bundesrat scheitert.
Für Sabrina ist die Sache inzwischen ausgestanden. „Zu 90 Prozent bin ich wieder die Alte“ , erzählt sie. Auch wenn sie nicht mehr belästigt wird – ihr Haus verlässt sie immer durch den Hinterausgang, wo ihr Auto bereit steht. Denn ihr Stalker wohnt immer noch gegenüber. CORNELIA LAUFER