: Eine Autofabrik im Schönheitswettbewerb
Ein Jahr nach Beginn des Arbeitskampfes der Bochumer Opelarbeiter ist die Zukunft des Werkes über das Jahr 2010 hinaus noch immer nicht gesichert
AUS BOCHUM KLAUS JANSEN
Wie es weiter geht, ein Jahr nach dem 14. Oktober 2004? „Warten Sie einen Moment. Ich gehe eben in mein Büro, da steht meine Glaskugel“, sagt Rainer Einenkel. Dann lacht er, „natürlich war das ein Witz.“ Der Betriebsratsvorsitzende des Bochumer Opelwerks besitzt selbstverständlich keine magische Kugel, mit der er in die Zukunft schauen kann. Deshalb bleibt es auch für ihn, wie es ist: Genau ein Jahr nach dem wilden Streik der Bochumer Autobauer ist die Zukunft des Werkes im Ruhrgebiet weiterhin ungewiss.
Den Abbau von über 2.000 Arbeitsplätzen hat Einenkel hinnehmen müssen, den Verlust von 4.500 Jobs hatte der Mutterkonzern General Motors angedroht. „Der Kampf hat sich gelohnt“, sagt er. Aber noch kann Einenkel nicht wissen, ob es sein Werk auch nach dem Jahr 2010 noch geben wird. „Wir stehen weiter im Schönheitswettbewerb“, sagt er. Der Hauptpreis dieses Wettbewerbs ist es, im kommenden Jahrzehnt das Nachfolgemodell des Opel Astras produzieren zu dürfen. Die Konkurrenten sind die Werke Ellesmere Port in England, Antwerpen in Belgien und Trollhättan in Schweden.
Zeit für Nostalgie und Erinnerung an Arbeitskampfromantik bleibt den Opelanern nicht. „Bochum hat sehr gute Chancen für eine Zukunft für die Zeit nach 2010. Allerdings muss sichergestellt sein, dass das Werk schlank unterwegs ist“, sagt der Gelsenkirchener Automarktexperte Ferdinand Dudenhöffer. Schlank sein bedeutet: Noch müssen rund 790 Beschäftigte gehen. Außerdem müsse verstärkt auf Leiharbeiter gesetzt werden, um die Personalkosten flexibel der Auslastung des Werkes anzupassen, fordert Dudenhöffer. Betriebsratschef Einenkel sagt: „General Motors setzt sein Erpressungsspiel fort.“ Das Management sagt: Wir setzen nur das um, was wir im Zukunftsvertrag für das Werk festgelegt haben.
Die Arbeitnehmervertreter weigern sich jedoch, weitere Jobs zu streichen. Ihr wichtigstes Argument: Opel hat sich seit dem Streik im vergangenen Jahr wirtschaftlich erholt. Im September hat der Konzern mit 155.000 verkauften Autos das beste Monatsergebnis seit sechs Jahren eingefahren, der Marktanteil in Deutschland stieg von 9,1 Prozent im Vorjahr auf nun 11,1 Prozent. Für das Werk Bochum bedeutet das eine hohe Auslastung – mit weniger Beschäftigten muss genauso viel Arbeit bewältigt werden wie vor dem Personalabbau. „Es darf keine Kündigungen geben, solange wir Leiharbeiter beschäftigen müssen, um die Produktion zu stemmen“, sagt Einenkel. Hinzu kommt: Die Opelaner haben mittlerweile Zeitguthaben von insgesamt 700.000 Stunden angesammelt.
Sollten diese tatsächlich mit Freizeit abgegolten werden, müsste das Unternehmen sogar neue Mitarbeiter einstellen.
Für das Management zählen solche Argumente bislang aber offenbar nicht. „Der Bochumer Betriebsrat hatte einen kleinen mentalen Ausrutscher“, hatte der Opel-Aufsichtsratsvorsitzende Carl-Peter Forster erst kürzlich Einenkels Forderungen kommentiert. Trotz der momentan guten Auslastung und der den Bochumern bescheinigten „guten Entwicklung“ im vergangenen Jahr fällt es den Arbeitgebern nicht schwer, Gründe gegen den Standort zu finden. Noch immer ist Bochum das unmodernste Werk in der Konzernfamilie, die Autos werden umständlich auf einer zweistöckigen Produktionsbahn zusammengebaut, und auch die Bausubstanz des Werkes ist teilweise marode: An einigen Stellen drückt die Feuchtigkeit sogar die Klinker aus den Wänden.
„Opel hält an seiner Planung fest“, erklärte deshalb gestern ein Unternehmens-Sprecher in der Firmenzentrale Rüsselsheim. Das Restrukturierungsprogramm mache sich nicht „kurzfristig an Höhen und Tiefen des Absatzes fest“. Aus diesem Grund wird es kaum zu verhindern sein, dass weitere Opel-Arbeiter in den kommenden Monaten das Unternehmen in Richtung eine der eingerichteten Transfergesellschaften verlassen müssen.
Deren Erfolg ist bislang gering: In Rüsselsheim konnte die Gesellschaft MyPegasus lediglich 25 bis 30 Prozent der Ex-Opelaner in neue Jobs vermitteln, versprochen waren 70 bis 80 Prozent. Das Bochumer Pendant BAQ hat bislang noch keine Zahlen vorgelegt, Experten beziffern die Erfolgsquote angesichts des schwierigen Job-Markts auf unter zehn Prozent. Kritik wird vor allem am mangelnden Einsatz der Jobvermittler laut: Den Opelanern versprochene Drehs von Bewerbungsvideos seien nie eingelöst worden, zudem kümmerten sich zu wenige so genannte „Job-Scouts“ um die Vermittlung, heißt es.
Im Vergleich zum vergangenen Jahr bietet sich den Opelanern damit eine beinahe umgekehrte Situation: Im Oktober 2004 galt der Wechsel in eine Transfergesellschaft noch als scheinbar sicherer Rettungsring beim Sprung von einem sinkenden Schiff – nun stehen viele, die das Werk freiwillig verlassen haben, vor der Arbeitslosigkeit. Diejenigen, die geblieben sind, dürfen dagegen hoffen: Auf das Nachfolgemodell für den Astra, auf steigende Erfolgszahlen, oder auf eine Überraschung. „Wer weiß“, sagt Betriebsratschef Einenkel, „vielleicht produzieren wir ab 2010 ja einfach etwas ganz Neues.“