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Archiv-Artikel

Textilrausch in der Kunsthalle

Schwesterntreffen: Erstmals sind die großen Frauenporträts von Monet, Manet und Renoir zusammen zu sehen

Es ist so weit: Zwei Jahre nach „Vincent van Gogh: Das Mohnfeld und der Künstlerstreit“ setzt die Kunsthalle turnusgemäß zum Sprung ins Massenbad der Publikumsausstellung an – womit sie auch gleich das Motto eines großen Teils des Bremer Kulturherbstes vorgibt. Diesmal heißt es „Monet und Camille“.

Ausgangspunkt ist also wiederum eine weitsichtige Erwerbung des ersten Kunsthallen-Direktors Gustav Pauli: 1906 kaufte er Claude Monets Ölgemälde „Camille“, gemalt 1866. Und so wie um van Goghs „Mohnfeld“ die anderen Landschaftsbilder gruppiert waren, sind es diesmal „Frauenportraits im Impressionismus“. Salopper gesagt: Röcke statt Wiesen. Aber was für welche. Monets Camille trägt ein dynamisch schwingendes grün-schwarz-gestreiftes Stück mit Bauchung über dem Gesäß, dazu eine dunkle Pelzweste. Auch Monets Zeitgenossen baden in Textilien, aus denen sich feine Gesichtsportraits heben.

Die Entstehungsgeschichte der Camille ist allerdings eine profane: Weil Monet das „Frühstück im Freien“, eine 18 Quadratmeter messende Open Air-Szenerie, nicht rechtzeitig fertig stellen konnte, griff er auf seine Freundin zurück: die 19-jährige Camille Doncieux, deren Portrait er in nur vier Tagen anfertigte. Beziehungsweise „runtergedonnert“ hat, wie Kunsthallen-Direktor Wulf Herzogenrath formuliert. Unzweifelhaft ist es ein breiter, energischer Pinselduktus, mit dem Monet hier, als noch völlig unbekannter Künstler, zu Werk ging, noch entfernt von den kurzen, lichtflirrenden Strichen des späteren Impressionisten. Der Erfolg war groß: „Endlich mal ein Charakter“, jubelte ein Kritiker, anstelle der bis dato üblichen „Schlagsahne-Bilder“.

Als Reaktion darauf wollte auch der ältere Edouard Manet nicht zurückstehen und malte seine „Junge Frau von 1866“: Das durchwirkte Weiß des Morgenrocks, eingebettet in wunderbares Velazquez-Grau, ist ein Gedicht, inklusive der angeschälten Orange zu Füßen. Monets Erfolg hatte also ein neues Genre losgetreten, dem sich nun auch Auguste Renoir begeistert widmete: Er malte seine „Lise“ – ein Bild, das die vergangenen 50 Jahre scheinbar unabhängbar im Essener Folkwang-Museum verbrachte und nun verliehen wurde. Jetzt befinden sich die drei kunstgeschichtlichen „Schwestern“ erstmals miteinander in einem Raum.

Das ist der inhaltliche Auftakt. Die Ausstellung führt weiter zu Monets späteren „Camille“-Bildern. Im Umkehrschluss beschreiben sie den Weg zum Landschaftsmaler: Denn Camille selbst wird immer kleiner zugunsten der Umgebung, auf der „Wiese von Bezons“ ist sie nur noch ein – modisch gekleideter – Fleck in der Natur. Die aber ist voller Helle, Luft und Wärme. Bis Camille im Alter von 32 Jahren, kurz nach der Geburt ihres zweiten gemeinsamen Sohnes, starb, hat Monet sie immer wieder gemalt. Zuletzt auf dem Totenbett, zugedeckt mit einem Lichtschleier.

Insgesamt zeigt die Kunsthalle 18 Monets und 21 Frauenportraits anderer Künstler wie Corot, Whistler und Degas. Nach Seerosen wird man in der Bremer Schau also vergeblich suchen: So wie es beim Bremer van Gogh-Event zur Enttäuschung mancher keine Sonnenblumen gab, geht es auch jetzt nicht um die meistvermarkteten Motive der Künstler, sondern um die kunstgeschichtliche – und zeitgeistige – Einbettung. Entsprechend sind auch Blätter wie das „Journal des Desmoiselles“ ausgestellt oder der „Petits Courriers des Dames“ vom 18.11.1865, aus dem Monet offenbar die gerade angesagte Garderobe übernahm.

Dass Rücken damals auch im Allgemeinen Entzücken auslösten, zeigen zum Beispiel Ausrisse aus Kaiserin Sissis Fotoalben und im Akkord kolorierte Modebücher, die natürlich eher als Nebenschauplätze der Kunstgeschichte zu bezeichnen sind. Herzogenraths Kommentar: „Mein Doktorvater hätte den Kopf geschüttelt“

Die Beschriftung der Schau folgt dem schon bei van Gogh verwandten Konzept „große Buchtstaben, wenig Text“. Für Näheres ist eine entsprechende Nummer in den „Artman“ genannten Hörknochen zu tippen. Die Kunsthalle hat für die Dauer der Ausstellung 102 zusätzliche MitarbeiterInnen für Aufsicht und Sicherheit eingestellt, insgesamt sind 4,8 Millionen Euro in das Unternehmen (samt Restaurierungen und Versicherungsgebühren) investiert. Knapp 13 Prozent trägt die Stadt bei, die von den erwarteten Überschüssen 50 Prozent ihres Zuschusses zurück gezahlt bekommt. Henning Bleyl