: Stilbewusst modern
NEUENTDECKUNG Seit über 30 Jahren gilt Paul Weller als stilbewusstester Ausdruck rebellischer Englishness. Jetzt hat sich der „Godfather of Britpop“ auf „Sonik Kicks“ ausdrücklich vom Krautrock beeinflussen lassen
VON ROBERT MATTHIES
Es ist ein ausgesprochen britisches Phänomen: Seit Paul Weller Ende der 70er mit The Jam die Energie des Punk mit Psychedelik, Soul und der klassenbewussten Stilsicherheit der Mod-Bands der 60er zusammengeführt und sich zur herausragenden Figur des Mod-Revivals aufgeschwungen hat, ist das Verhältnis zwischen dem heute 54-Jährigen und der britischen Popkultur von inniger Gegenseitigkeit geprägt.
Immer war Wellers Songwriting, ob Mitte der 80er mit seiner deutlich experimenteller ausgerichteten und unüberhörbar politischen Kombo The Style Council oder seit den 90ern als workoholischer Solokünstler, tief im britischen Kontext verwurzelt. Der britische Pop wiederum arbeitet sich seit vier Generationen unablässig am von Weller eröffneten musikalischen und modischen Stiluniversum ab, erkennt in dem Arbeitersohn den unumstrittenen „Godfather of Britpop“ respektive den „Modfather“, gibt sich Mühe, dass der Anzug passt, kauft von Weller entworfene Fred-Perry-Polohemden, krempelt sich die Hosen hoch, wenn Weller es tut, und rennt zum Friseur, um sich die Haare wie die pfauenhafte Ikone schneiden zu lassen. Kaum eine Britpopband der 90er, die Weller nicht als wichtigsten popkulturellen Einfluss nennt. Ganz folgerichtig hat etwa Oasis’ Liam Gallagher vor drei Jahren sein Modelabel Pretty Green nach einem Weller-Song benannt – und versucht, den Übervater als Model zu gewinnen.
Umso überraschter war der international zwar immer anerkannte, aber nie mit derselben Leidenschaft wie auf der Insel verehrte „Mister British“ vor vier Jahren, als ein Rezensent seines allenthalben gefeierten neunten Solo-Albums „22 Dreams“ plötzlich deutliche Einflüsse deutscher Krautrockbands wie Neu! ausgemacht hat. Weller, ambitionierter Plattensammler schon, als er noch in den Kinderschuhen steckte, hatte von den Düsseldorfer Motorik-Pionieren schlicht noch nie gehört – und besorgte sich kurzerhand alle ihre Platten.
Vier Jahre später nun schlägt sich die neu entdeckte Krautrockbegeisterung deutlich im Weller’schen Werk nieder. „Around the lake“ heißt der diesmal ausdrücklich von Neu! inspirierte rockende Zweiminüter, für den Weller denn auch gleich den richtigen Remixer gefunden hat: Neu!-Gitarrist Michael Rother. Und auch sonst ist der Krautrock-Einfluss immer wieder zu erkennen, ausufernd verliert sich Wellers im Grunde klassisches Songwriting dabei aber mitunter im stilistischen Experiment. Den versierten Weller-Fan mag das nicht auf Anhieb überzeugen. Aber was kann er schon tun? In den Plattenladen gehen und sich alle Neu!-Platten besorgen.
■ Mo, 17. 12., 20 Uhr, Große Freiheit 36, Große Freiheit 36