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Archiv-Artikel

Gleich zu ungleich gesellt sich gern

Wenn Gegensätze koalieren, dann gerne groß. Unterschiedliche Prinzipien lassen sich nicht nur in Yin und Yang verschmelzen, sondern in fast allen Bereichen des Alltags, sogar in der Politik. Ein kleiner Überblick über große Koalitionen – und was aus ihnen geworden ist

MANN und FRAU

Die älteste große Koalition überhaupt. Geprägt von unterschiedlichen Ausdrucksformen (Schweigen vs. Reden), Herkunftsplaneten (Mars vs. Venus), primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen. Trotz zahlreicher Koalitionskrisen ist diese Verbindung die stabilste und wichtigste aller großen Koalitionen. Hier geht es nicht um Kinkerlitzchen wie Steuerpolitik und Sozialreform, sondern um den Fortbestand unserer Art. Insofern kann die Koalition zwischen Mann und Frau Vorbild sein für Union und SPD: Miteinander geht es nicht. Ohne einander noch weniger. Richtlinienkompetenz: ewig umstritten.

DAIMLER und CHRYSLER

Über alle topografischen Gräben (Atlantik) und kulturelle Unterschiede (hier Stuttgart, da Detroit) hinweg wurde bei einer glamourösen „Hochzeit unter Gleichen“ (Verhandlungsfüher Schrempp) aus Daimler und Chrysler DaimlerChrysler. Schon früh kam’s zu ersten Spannungen, als Chrysler das Kleingedruckte las und den Betrug erkannte. Endgültig war die Ernüchterung, als Daimler sich mit Mitsubishi auch noch eine japanische Mätresse nahm. Statt um die Herrschaft der Welt muss es heute eine Nummer kleiner gehen, nämlich um Entlassungen in Stuttgart. Richtlinienkompetenz: immer der mit dem beeindruckendsten Schnurrbart (zurzeit Herr Zetsche).

RHEINLAND und PFALZ

Zärtlich und verlässlich liegen sich seit langem das feuchtfröhliche Rheinland und die ackerkrumentrockene Pfalz in den Armen – mehr oder weniger freiwillig, wie auch kleinere Koalitionspartner (Kurpfalz, Kurtrier, Rheinische Tiefebene, Mosel, Hunsrück, Eifel) unter den Tisch gefallen sind. Doch in der Randlage lässt es sich bekanntlich in Ruhe gut essen und trinken. Auch wenn Rheinland-Pfalz eigentlich der CDU gehört, hat schon seit langem Kurt Beck von der SPD die Wacht am Rhein übernommen: „Wir machen’s einfach“, wie der offizielle Slogan des Landes lautet. Sachsen-Anhalt wirbt übrigens mit dem Spruch „Wir stehen früher auf“. Das müssen die Einwohner von Sachsen-Anhalt auch, wenn sie rechtzeitig an ihrem Arbeitsplatz in Rheinland-Pfalz erscheinen wollen. Richtlinienkompetenz: wird auf dem Betzenberg festgelegt.

DOLCE und GABBANA

Die Koalition der italienischen Modemacher Domenico Dolce (42) und Stefano Gabbana (47) hält nun schon seit 20 Jahren, 18 Jahre waren sie sogar ein richtiges Paar. In dieser Zeit beglückten sie die Menschen mit schwarzen Hosen und Bustiers, zerrissenen Jeans und atemberaubend gut sitzenden Herrenhemden. Ihre Arbeit betrachten sie als gemeinsames Kind – auch wenn sie privat unterschiedlichen Interessen nachgehen. Mode für Menschen (die es sich leisten können): Ihre Entwürfe kann man tragen, zudem betrachten sie mit mildem Populismus „ganz normale Leute von der Straße“ als ihre Protagonisten. Richtlinienkompetenz: Schönheit vor Alter.

WONDERWOMAN und BATMAN

Superhelden gegen das Böse: In der „Liga der Gerechten“ kommen die zusammen, die sonst alleine kämpfen. Wonderwoman und Batman zum Beispiel. Denn wenn die Feinde superböse Monster sind (Arbeitslosenzahlen!), sollte ein Superheld seine individuelle Eitelkeit für eine Weile ablegen und „der Sache“ dienen: „Gemeinsam sind die Superhelden in ihrem Bündnis für die Gerechtigkeit stark und kämpfen gegen kriminelle Machenschaften und die Gefahren durch Außerirdische, die alles Leben im Universum bedrohen“, heißt es seitens des Senders zur entsprechenden TV-Serie. Nächste Folge am Samstag bei Kabel 1. Oder in der nächsten „Tagesschau“. Richtlinienkompetenz: überflüssig, weil das gemeinsame Ziel so wichtig ist.

MILKA und LANGNESE

Cremissimo und die gefleckte Milka-Kuh bilden die sahnigste Co-Branding-Koalition, seit es Marken-Naschwerk gibt. Angesichts drohender Massenarbeitslosigkeit durch die immer härter werdende Konkurrenz auf dem globalisierten No-Name-Süßwarenmarkt entschloss man sich zur Kooperation. Nur so könnten die Qualität verdoppelt und die Werbekosten halbiert werden. Funktioniert aber nur, wenn beide Marken beim Kunden die gleichen Assoziationen auslösen: süß, cremig, wohl schmeckend, dick machend. It’s the economy, stupid! Richtlinienkompetenz: Milka, wegen Zärte der Versuchung.

BRD und DDR

1990 sagten viele Westdeutsche: „Warum sollen wir mit der DDR koalieren? Mit Frankreich haben wir viel mehr gemeinsam.“ Das stimmt zwar, aber aus irgendwelchen historischen Gründen sollte es dann doch die DDR sein. Das Ergebnis war verheerend, vielleicht sogar monströs: ein schwerfälliges Land, überall Schnäppchenläden und Verständigungsschwierigkeiten auf praktisch allen Ebenen. Nur langsam näherten sich die Koalitionspartner an: Neue Straßen wurden gebaut und darauf die gleichen Feste gefeiert. Trotzdem läuft’s noch nicht rund. Besonders originelle Stimmen behaupten inzwischen sogar: Wie die „großen Volksparteien“ SPD und CDU waren sich auch BRD und DDR immer ähnlicher, als allen Beteiligten lieb sein konnte. Richtlinienkompetenz: Helmut Kohl

APFELSAFT und SCHORLE

Welche Kompromisse nötig sind, um aus Apfel und Schorle eine Apfelschorle zu schmieden, das hat keiner so präzise definiert wie das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz: Eine Apfelsaftschorle ist demnach dann in trockenen Tüchern, wenn sich ein Teil Saft mit bis zu fünf Teilen Mineralwasser zusammenschließen. Verschwitzten Hinterbänklern mag dieses Mischungsverhältnis zusagen, koalitionstechnisch gesehen mangelt es der verwässerten Plörre eindeutig an Substanz. Überdies ist diese Koalition mit 34 Kilokalorien und 0,1 Gramm Fett pro 100 Milliliter viel zu schwerfällig für flexible Reformvorhaben. Dabei sind sich alle Experten einig, dass der durch die Fruchtsäure gesenkte pH-Wert des Speichels dringend erhöht werden muss, sonst: Zahnschmerzen. Richtlinienkompetenz: wird durch wechselnde Mehrheitsverhältnisse ständig neu ermittelt.

ALDI NORD und ALDI SÜD

Keine wirkliche Koalition, irgendwie aber schon: Nachdem sie sich nicht hatten einigen können, Tabakwaren ins Sortiment aufzunehmen, teilten die Brüder Theo und Karl Albrecht ihren Lebensmittelkonzern 1960 in eigenständige Unternehmen – und damit auch die Landkarte Deutschlands – in Aldi Nord und Aldi Süd. Gegenüber Lieferanten treten die Grenzwächter des Aldi-Äquators dennoch gerne gemeinsam auf, weil es da um Sachfragen geht. Forsa hat ermittelt, dass die beiden wertkonservativen Brüder es einfach allen recht machen, von Arbeitern über Beamte und Angestellte bis zu den Selbstständigen. Die Gebrüder Aldi kennen keine Rechten und Linken mehr, nur noch Kunden. Und dabei passt ihr Programm in einen dünnen, bunten und leicht verständlichen Prospekt. Richtlinienkompetenz: eine noch immer ungeklärte Preisfrage.

NIKOTION und BIER

Die Zeiten werden rauer, wir rauchen nur noch filterlos. Besser noch: Bier mit integriertem Nikotin verzehren. Deutsche Wissenschaftler entwicklelten im Auftrag der Herstellerfirma Nautilus das erste Bier, das Nikotin enthält, drei Dosen à 0,25 Liter entsprechen einer Packung Zigaretten. Eine große Kneipenkoalition, die Linderung verspricht für Menschen, die unter der zunehmenden Komplexität eines globalisierten Daseins leiden. „Simplify your life“, spricht der Bürger und spült den Ärger über das böse Dosenpfand einfach hinunter. Richtlinienkompetenz: Bier. Ohne Bier kein Rausch.

SIMON und GARFUNKEL

Wie bei der Linkspartei, die sich anfänglich in Kürzeln wie WASG, PDS oder PDSWASG verzettelte, litt auch die Handlungsfähigkeit der künstlerischen Koalition aus Paul Simon und Art Garfunkel anfangs unter einem nicht marktfähigen Namen: Tom und Jerry. Als Simon und Garfunkel bewiesen sie, dass Koalitionspartner nur eine Brücke über die aufgewühlten Wasser ihrer Gegensätze schlagen müssen, damit alles wie am Schnürchen läuft. Wichtig ist eine klare und faire Aufgabenverteilung der gleichberechtigten Partner: Simon war zuständig für den Gesang, die Kompositionen, die Instrumentierung, die Texte und die Arrangements – also eigentlich für alles. Garfunkel besorgte die nötige Zweitstimme. Richtlinienkompetenz: Paul Simon.

CITROËN und MASERATI

Zur ulkigsten Koalition aller Zeiten kam es in den Siebzigerjahren. Da machte der französische Entenzüchter Citroën mit der italienischen Edelschmiede Maserati gemeinsame Sache, um ihre unterschiedlichen Tugenden in einem einzigen Gefährt zu vereinigen. Der Werbespruch „A Harmony Of Opposites“ versprach allerdings mehr, als das bizarre Mischfahrzeug Citroën SM halten konnte. Richtlinienkompetenz: lag beim Élysée.

ARNO FRANK, RETO GLEMSER STEFAN KUZMANY, GIUSEPPE PITRONACI MARTIN REICHERT