: Hat alles keinen Sinn ohne den Swing
ExperimentalmusikBei der Auftaktrunde zum „A l'Arme!“-Festival am Mittwoch im Berghain besucht man mit viel Gefiedel auch mal musikalisch eher öde Orte und findet Trost doch wieder im Free Jazz
Die Scheuklappen ablegen, sich im weiten Rund umschauen. Da kann doch prinzipiell gar nichts dagegen sprechen.
Insofern ist man bei dem 2012 eingerichteten „A l'Arme!“-Festival schon auf dem richtigen Weg. Konnten die ersten Ausgaben dieser Plattform für experimentierende Musik noch einigermaßen präzise unter dem Stichwort Free Jazz katalogisiert werden, hüpfte man in Folge doch beherzt über die Genregrenzen.
Für die diesjährige Festivalausgabe hat man dabei unter dem Motto „Inner Landscapes & Unknown Chambers“ gleich eine „interdisziplinäre Gratwanderung“ zwischen Avantgarde-Jazz, Folk, Dark Ambient und Noise versprochen. Ziemlich viel Abwechslung also bei der Erforschung neuer Horizonte.
Aber nun ist es halt auch nicht überall schön.
Was man ja wiederum, auch das zählt zur Entdeckerfreude, erst bei einem genaueren Umschauen mitbekommt. So durfte man bei der „A l'Arme!“-Auftaktrunde am Mittwochabend im Berghain gleich mal einen eher mäßig interessanten Landstrich durchwandern mit dem Auftritt von Sarah Neufeld. In ihrem Soloprogramm ließ die eng mit den Indierock-Darlings Arcade Fire verbandelte kanadische Geigerin eine Art von Minimal-Barock hören, wie man ihn auch von den Michael-Nyman-Soundtracks für die Filme von Peter Greenaway kennt. Repetitive Reihungen, durchsetzt mit Squaredance-Motiven und Irish-Folk-Wendungen, wobei die Musik nie zur Ruhe kommen wollte und auch mal etwas über sich nachdenken.
Was natürlich Prinzip war. Aber dabei eben zu einem musikalischen Hospitalismus im mechanischen Gefiedel führte.
Mächtig viel gegeigt wurde auch bei Laniakea, die sich selbst als „galatic gospel duo“ bezeichnende Partnerschaft von Daniel O’Sullivan und Massimo Pupillo. Zwei Rockexperimentatoren, die sich bei ihrem Auftritt im Berghain zusätzlich ein Streichtrio gönnten für eine arg sakral daherkommende Stimmungsmusik, in der man wohl aufquellen sollte im Klang der an- und abschwellenden Töne und einem Glöckchengebimmel, sich verlieren in dem ätherischen Slow-Motion-Ambient, aus dem sich schließlich ein andächtig verschleppter und noch irgendwie um Hildegard von Bingen herumgedachter Dream Pop schälte mit einer Prätention, die einen letztlich nur müde machte im Geist.
Eine träge Ödnis. Und Musik von einer herausfordernden Langweiligkeit.
Was allerdings mit dieser Herausforderung schon wieder in die Konzeption des Festivals passte, weil um herausfordernde Musik soll es unbedingt gehen bei „A l'Arme!“, das dann am Mittwoch zur Nacht zuletzt doch noch ein wenig in Schwung kam mit Fire, dem Powertrio um den schwedischen Saxofonisten Mats Gustafsson.
Hier war als Gast – Kollaborationen sind die eigentlichen Verdienstausweise von Festivals – der australische Gitarrist Oren Ambarchi dabei, zusammen spielten sie Free Jazz als Rock – hart gerifft, nicht sonderlich an Subtilitäten interessiert und mehr lärmlustig, geifernd, sich verausgabend, auch männermusikalisch kraftmeiernd und halt doch bei all dem Stolpern und Stampfen mit einem ziemlich mächtigen Groove.
Weil, wie man im Jazz weiß, nun wirklich alles keinen Sinn hat, wenn da nicht der Swing dabei ist.
So durfte man letztlich doch mit diesem kleinen Trost zum Schluss nach Hause gehen. Das „A l'Arme!“-Festival dauert noch bis Samstag, die Konzerte dann im Radialsystem. Unter anderem hat dabei mit dem Saxofonisten Peter Brötzmann der Leuchtturm des europäischen Free Jazz seinen Auftritt. Er spielt zusammen mit der Pedal-Steel-Guitar-Virtuosin Heather Leigh. Thomas Mauch
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen