: Zimtnoten, säuerlicher Hauch
REZEPT Was macht man gegen Schneematsch? Glühwein kippen. Am besten selbst gemachten
VON STEFFEN GRIMBERG
Oh Glühwein! Du Göttertrank! Zumindest, wenn man bei knapp über null Grad auf dem Dresdner Striezelmarkt steht, der Schnee in fiesen Patschregen übergegangen ist und der Glühweinstand der einzige ist, unter dessen Dach sich noch ein Plätzchen fand.
Bitte sich keiner Illusion hingeben: Was hier gar trefflich schmeckt, ist zumeist aus großen Eimern ausgeschenkte, stark gesüßte Plörre minderer Anbaugebiete aus mehr als einem Land.
Und wer mal so richtig einen draufmachen will, der kann sich hochliterarisch an Charles Dickens und seinem legendären „Christmas Carol“ orientieren. Dort wird „Smoking Bishop“ serviert, eine Art Punsch mit zuerst in Zucker karamellisierten Kolonialfrüchten, bei dem man so lustig dünnem Wein wie unserem Dornfelder gleich noch ein bisschen mit Portwein auf die Sprünge hilft.
Und der herzige Gesichtsausdruck des allerliebsten Christkindls auf der Flasche, die für 1,99 Euro gehandelt wird, ist in Wahrheit eine verzogene Fratze, die an den kommenden Kater gemahnt.
Wieso trinkt der Mensch überhaupt Glühwein? Den vergorenen Rebensaft mit allerlei Gewürzen aufhübschen, das taten jedenfalls schon die Römer. Das Kochbuch des Apicus empfiehlt Zimt, Lorbeer, Nelken, Thymian und Koriander. Vom Heißmachen (bloß nicht kochen!) schreibt er allerdings nix. Nun ist Glühwein ja auch für kältere Gefilde gedacht, und die Zutaten haben sich über die Jahrtausende erhalten.
40 Millionen Liter Glühwein werden jährlich in Deutschland getrunken, was bei 1,9 Milliarden Litern weinigem Gesamtbesäufnis laut Deutschem Weininstitut nicht so dolle ist, aber immerhin ja schon mal ein halber Liter pro Nase. Nur mit dem Image ist es nicht so weit her – was eben an der beschriebenen, sagen wir mal höflich: höchst breit gefächerten Qualität des Angebots liegt.
Und wenn der Hauptlieferant des Glühweins für den berühmten Nürnberger Christkindlesmarkt auf seiner Website hilfreich darauf verweist, dass alle seine Glühweine trinkfertig gewürzt, aber bitte nicht in der Flasche zu erhitzen seien, spricht das Bände.
Die Firma hört übrigens auf den geschmackvollen Namen GeFa, für „Getränkefabrik“. Dafür heißt die Stammmarke dann immerhin hübsch blumig und ohne jede Ironie „Rauschgoldengel“.
Das schon erwähnte Deutsche Weininstitut hat 2010 sogar erstmals eine extra „Glühweinkönigin“ auf die deutschen Weihnachtsmärkte losgelassen. Und seitdem wird der Winzerglühwein propagiert, der den Händlern natürlich auch einen hübschen Preisaufschlag beschert, die werte Kundschaft aber, was den Kater angeht, schonen soll.
Was aber passiert, wenn man für seinen Rausch selber Engel spielen will?
Auf den Zucker kommt es an, daher rät die Weinlobby: „Wenn man liebliche oder halbtrockene Rotweine aus deutschen Anbaugebieten verwendet, muss man entsprechend weniger nachsüßen“, und empfiehlt, einen Liter heimischen Rotwein nach Geschmack mit Kandis oder Honig zu süßen und eine in Scheiben geschnittene (ungespritzte) Zitrone oder Orange, vier Gewürznelken sowie eine Stange Zimt hinzuzugeben. Und dann das noch: „Apfelstückchen verfeinern den Geschmack.“ Aha.
Der Franzose ist auch unerwärmt trinkbar
Also ran an die Töpfe. Zum Einsatz kommen zwei handelsübliche 0,75-Liter-Fläschchen. Und zwar einmal der kleine 2010er Cordsamt des Weinguts Chateau Jouclary aus Südfrankreich (Couveé Tradition), zum anderen der verblüffenderweise im Späti um die Ecke aufgetriebene 2009er Asselheimer Goldberg, Dornfelder lieblich des Weinguts Kraß aus Zell in der Pfalz.
Der Franzose ist auch unerwärmt höchst trinkbar. Da heißt es erst mal einen gewissen Widerwillen überwinden, den Spaß überhaupt der Hitze des Herdes auszusetzen.
An Gewürzen liegen halbierte Zimtstangen, ganze Nelken und je Topf zwei grüne Kardamomkapseln bereit. Die Orangen sind heiß abgebraust, die Zitrone habe ich vergessen. Die Gewürze wandern also ins jeweilige rote Meer, jetzt bloß die Töpfe nicht durcheinanderbringen: Unter dem Glasdeckel ist der Chateau Jouclary, unter dem Metalldeckel der 2009er Asselheimer Goldberg.
Kaum wird das Zeug warm, ist plötzlich Weihnachtsmarkt in der Küche. Nach gut fünf Minuten der erste Probeschluck: Vor allem der Franzose verlangt nach Süße. Behutsam gibt es Honig – einen guten Esslöffel für Jouclary, etwas weniger für die deutsche Konkurrenz.
Jetzt die Frucht dazu – je eine halbe Scheibe Orange, außerdem will ich ganz schlau sein und rasple noch ein bisschen Schale mit rein. Wäre besser unterblieben, jetzt wird es in beiden Töpfen nämlich plötzlich fies bitter.
Gut, dass bisher jeweils nur die halbe Flasche daran glauben musste. Also Töpfe ausspülen, neuer Anlauf, selbe Versuchsanordnung, nur ohne Orange. Und siehe da: Es wird. Und wirkt – durchs ständige Probieren hab ich schon hübsch einen im Tee. Zumal wir es hier mit richtigen Weinen zu tun haben – Chateau Jouclary hat 13,5 Volumenprozente Alkohol, der deutsche Dornfelder immerhin 11 Umdrehungen. Einfachglühweinfertigzubereitungen liegen leicht mal unter 10 Prozent. Nach spätestens zehn Minuten heißt es übrigens: Heraus mit den Gewürzen. Ich gieße dafür, einfach weil er da ist, noch ein bisschen frisch gepressten Orangensaft in beide Mischungen nach.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen – und riechen. Tiefwürzige Zimtnoten und ein orangig-säuerlicher Hauch bei sattem Weinaroma. Der Geschmack ist dann fast ein bisschen ernüchternd: Es schmeckt wie Glühwein, vielleicht nicht ganz so klebrig-süß.
Also raus auf den Balkon, die Vermutung stimmt: Bei äußerer Kälte ist drinnen im Becher noch weniger Unterschied zu schmecken.
Lecker ist es trotzdem.