: Müssen wir uns vor dem Weltuntergang fürchten?
APOKALYPSE Laut Maya-Kalender endet am 21. Dezember die Welt. Glauben einige. Die Erde ist bedroht, aber nicht deshalb, entgegnen andere
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JA
Mojib Latif, 58, erforscht das Klima und er-klärt es im Radio und Fernsehen
Der Weltuntergang hat viele Gesichter. Wir sind mit schuld. So verschwinden immer mehr Lebensformen von diesem Planeten, etwa wegen der Zerstörung der Regenwälder. Wir vergiften die Luft, die Böden und die Meere. Wir erwärmen das Klima. Kurzum: Wir führen ein gewaltiges Experiment mit der Erde aus. Das Erdsystem ist viel zu komplex, um es in allen Details zu berechnen. Ökosysteme können ohne Vorwarnung kippen. Die zunehmende Ressourcenknappheit kann zu Verteilungskämpfen führen. Die ungezügelte Spekulation an den Finanzmärkten gefährdet die Stabilität der Weltwirtschaft. Es gibt Hunger und Trinkwassermangel. Die Korallen sterben, die Meere sind überfischt. Wir sind unfähig, die Alarmzeichen zu erkennen. Wann werden wir die Warnsignale wahrnehmen und die notwendigen Konsequenzen ziehen?
Elisabeth Teissier, 74, ist Astrologin und hat François Mitterrand beraten
Selten hat eine Prophezeiung wie die der Maya zum 21. Dezember ein derartiges universelles Echo ausgelöst. Obwohl ich selbst wohl nicht an einen Weltuntergang glaube, ist die Konstellation in den kommenden Monaten ziemlich explosiv. Aber ehrlich gesagt werde ich am kommenden 22. Dezember erleichtert sein, wenn nichts Weltbewegendes passiert. Trotzdem: Die Dissonanz der Planeten Uranus und Pluto ist schon seit Monaten wirksam. In meinem Buch „Weltkrise und Neubeginn“ habe ich erklärt, dass wir mitten in einem großen Umbruch sind. Wenn ich die Entwicklung in Ägypten und Syrien sehe, und vor allem die Umweltprobleme durch Atomenergie oder genetisch veränderte Organismen, um nur die zwei Beispiele zu nennen, brauchen wir keine große kosmische Katastrophe. Wir richten uns selbst zugrunde.
Ilze Rassa, 34, macht die Pressearbeit für die lettische Versicherungsanstalt Balta
Wir sind im Oktober 2012 vom Veranstalter eines lettischen internationalen Festivals gebeten worden, eine Versicherungspolice gegen den bevorstehenden Weltuntergang abzuschließen. Versichert werden sollten die Teilnehmer des Festivals unter anderem gegen „die Unterbrechungen des zeitlichen und räumlichen Kontinuums aufgrund eines magnetischen Gewitters, was zur Folge haben könnte, dass sich die Festivalteilnehmer in parallelen Welten verirren“. Wenn man an uns mit solch außergewöhnlichen Bitten herantritt, sind wir um fundierte Klarstellung bemüht. Im konkreten Fall eines Weltuntergangs wäre es schwierig gewesen, das Potenzial möglicher Risiken sowie die Deckung der Folgen genau zu kalkulieren. Wir sind eine verantwortungsvolle Anstalt und verkaufen dem Kunden keine Produkte mit unabschätzbaren Risiken. Ich räume jedem das Recht ein, sich Gedanken über die Zukunft zu machen und dafür zu sorgen, dass die Folgen außerordentlicher Geschehnisse minimiert werden.
Hendrik Schirmer, 41, verkauft Überlebensausrüstung im Internet
Klar sollten wir Angst vor dem Weltuntergang haben, aber der findet nicht am 21. Dezember 2012 statt. Das derzeitige Gesellschaftsmodell ist fragil und kann untergehen. Wer die Zeichen ignoriert, wird unvorbereitet sein. Die zunehmenden Naturkatastrophen, Kriege und wirtschaftlichen Probleme darf man nicht ignorieren. Die Lebensverhältnisse werden sich für den Menschen stark verändern. Wir müssen wieder lernen, Vorsorge zu treffen. Wie unsere Großeltern. Sollte unser Verteilungssystem auf Schiene und Straße zusammenbrechen, erleben wir das Ende der Welt, wie wir sie kennen.
NEIN
Wladimir Kaminer, 45, erklärt den Deutschen Russland von Berlin aus
Die Russen blicken dem bevorstehenden Ende der Welt entspannt entgegen. Sie haben so etwas Ähnliches schon mehrmals gehabt, 1917, 1991 und 2000. Das neue Ende wird nicht das erste Ende und nicht das letzte Ende sein. Sie wissen, jeder Weltuntergang verspricht auch einen Neuanfang für alle. Nur ärgern sich die Russen ein wenig, dass ihr ehemaliger Zwischenpräsident, der wenig zu tun hatte, die Umstellung auf Winterzeit abschaffte. Wegen dieser Umstellung kommt nun das Ende der Welt in Russland nicht um 10 Uhr früh an, wie im ganzen zivilisierten Europa, sondern schon eine Stunde früher. „Wir ziehen wie immer den Kürzeren!“, regen sich die Russen auf. Im Allgemeinen wird einem in Russland empfohlen, zur fraglichen Zeit nicht aus dem Fenster zu schauen, die Hände gründlich zu waschen, vorher alle offenen Schulden zurückzuzahlen und keine neuen zu machen, mindestens bis zum nächsten Frühlingsbeginn.
Antje Gunsenheimer, 45, erforscht indigene Gesellschaften in Mittelamerika
Tatsächlich gibt es eine Prognose aus dem Maya-Raum für den 21. Dezember 2012. Vom Weltuntergang ist dabei jedoch nicht die Rede. Die Inschrift von Monument 6 aus Tortuguero, entstanden um 680, weist auf die Ankunft eines Gottes am Ende des 13. Bak’tun hin, also am 21. Dezember. Dann beginnt im Maya- Kalender eine neue Ära. Das ist mit der Jahrtausendwende vergleichbar. Aufwendige Zeitberechnungen in etlichen Inschriften zeigen, dass Zeit für die Maya unendlich war. Götter regierten abwechselnd einzelne Zeitphasen und gaben diesen Eigenschaften. Als der Tortuguero-Herrscher im 7. Jahrhundert das Jahr 2012 ankündigte und einen zukünftigen Gott willkommen hieß, drückte er damit Kontinuität und das Streben nach Unsterblichkeit aus. Andere Maya-Herrscher taten es ihm gleich, indem sie in ihren Inschriften weitere, in ferner Zukunft liegende Zeitpunkte benannten.
Werner Gruber, 42, unterrichtet Physik an der Uni Wien und macht Kabarett
Es ist nicht so einfach, die Welt zu zerstören. Was könnte passieren? Ebola, gekreuzt mit Aids, breitet sich rapide aus, ein thermonuklearer Krieg beginnt oder der Supervulkan unter dem Yellow-Stone-National-Park in den USA bricht aus – in allen Fällen sterben viele Menschen, aber es ist kein Weltuntergang. Die Menschheit würde überleben, die Erde würde weiter um die Sonne kreisen. Wir müssen uns eigentlich nur vor der Angst fürchten. Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Das Universum wird sich erst in rund 26 Milliarden Jahren wieder zusammenziehen. Oder Raum und Zeit zerreißen. Aber vorher bekommen wir in rund einer Milliarde Jahren Probleme mit unserer Sonne, die dann nicht mehr so freundlich strahlt. Also sollten wir heute schon Geld für die Forschung ausgeben, damit wir diese zukünftigen Probleme lösen können.
Martin Kesper, 46, ist sonntaz-Leser, er ist Geschichtenerzähler und malt Bilder
Müssen nicht. Aber wir sollten. Momentan steuert die Menschheit zweigleisig in eine Katastrophe. Einerseits verpulvern wir fossile Brennstoffe und feuern den Klimawandel an. Andererseits konzentrieren sich monetäre Werte bei fortschreitender Verarmung breiter Schichten. Klimawandel und Revolution dürften für manche den Weltuntergang bedeuten. Dieser wird nicht kurz vor Weihnachten stattfinden, aber für aufmerksame Beobachter sind die Zeichen nicht zu übersehen. Angst vor diesen Szenarien könnte dazu beitragen, selbige zu verhindern oder abzumildern.