: Kein Rock ’n’ Roll!
Die Eurovision wurde am 12. Februar 1950 im britischen Seebad Torquay gegründet: ein Netzwerk von TV-Anstalten West-, Nord-, Mittel- und Südeuropas, das – bis heute – nur einen Zweck hat: den Austausch von Sendematerial. Sitz der Eurovision wurde Genf. Das Medium Fernsehen war damals absolut neu; seine spätere Popularität nicht denkbar. Die kulturellen Leitmedien waren das Radio, die Zeitung, das Theater, das Kino und das Buch.
Die Bundesrepublik war bei der Gründung der Eurovision nicht dabei – weder hatte man einen steten Sendebetrieb vorzuweisen, noch war dieses Land, keine fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, im Kreis jener Länder gelitten, die es kurz zuvor noch militärisch bekämpft hatte.
Am 19. Oktober 1955, die ARD war inzwischen in den nichtsozialistischen Senderverbund integriert, verabredeten die Intendanten von neun TV-Anstalten auf einer Tagung in Rom die Ausrichtung einer Show, die international übertragen werden sollte, bei der jedes teilnehmende Land zwei Lieder vorstellt – und an dessen Ende eines davon nach einer Abstimmung gewonnen hat. Titel: Grand Prix of the Eurovision.
Insgeheim mag diese Idee auch kulturkritisch angehaucht gewesen sein: Um über eine europäische Show den rüden, körperlich „afrikanisierten“ (Kultursoziologe Kaspar Maase) Klängen, die aus Amerika herüber wehten – Rock ’n’ Roll!, Elvis!, Bill Haley! –, etwas entgegenzusetzen. Tatsächlich aber knüpfte man an das italienische Festival von San Remo an, bei dem Jahr für Jahr Interpreten um den Sieg singen. Der Trick, der aus einer x-beliebigen Show ein Festival mit Spannungsmoment macht, ist ein einfacher: Man stimmt über die Lieder ab.
Fast tausend Lieder aus 44 Ländern sind seit 1956 beim Grand Prix performt werden: 53 SiegerInnen gab es aber schon, denn 1969 gab es vier Lieder, die gleich viele Punkte an der Spitze hatten. Sie wurden allesamt zu Gewinnern erklärt. Die Eurovision, die von Anfang an nicht ausschloss, auch außereuropäische Länder in ihr Netzwerk aufzunehmen, hat inzwischen fast sechzig Sender als Mitglieder. Teilnehmen durften – und sie wollten unbedingt! – seit Beginn der Neunziger auch jene Länder, die bis dahin bei der sozialistischen Konkurrenz, der Intervision, uniert waren.
Israel, ebenso wie die arabischen Länder Nordafrikas und die des Nahen Ostens Teil der Eurovision, ist seit 1973 dabei: Nach dem Attentat auf jüdische Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 in München durch ein palästinensisches Terrorkommando war das Land kulturell isoliert; man orientierte sich nach Europa. Marokko nahm nur einmal am Grand Prix Eurovision teil: 1980, als Israel pausierte.
Die meisten Siege schaffte Irland (sieben). Deutschland war nur einmal an der Spitze, 1982 mit Nicole und ihrem „Ein bisschen Frieden“. Finnland und Portugal schafften in all den Jahren nicht einmal eine Platzierung unter den ersten drei.
In 37 Sprachen (inklusive aller Mundarten und Minderheitensprachen wie Keltisch, Korsisch, Kreolisch und Samisch) wurden Grand-Prix-Lieder gesungen, 2002 in Riga versuchte es die belgische Band Urban Trad gar mit einer erfundenen Sprache: Ihr Song „Sanomi“ wurde Zweiter. Seit 1999 ist der Zwang aufgehoben, in der jeweiligen Landessprache singen zu müssen – dominant ist seither das Englische. IL, JAF